Interview mit Digitalexpertin Valentina Kerst

Gamification und digitale Transformation: Die Dominanz der Daten kommt

Valentina Kerst gehört zu den 101 herausragenden Köpfen der digitalen Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen, die das Medienhaus DuMont Rheinland in Zusammenarbeit mit der Initiative „Digitale Wirtschaft NRW“ des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes NRW benennt. Die digitale Transformation ist ihr Thema.

Digitalexpertin Valentina Kerst
(Bild: Hilmar B. Traeger )

Die gebürtige Kölnerin ist Mitgründerin der Initiative Internetstadt Köln, Co- Vorsitzende des Vereins D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt sowie Geschäftsführerin der Strategischen Internetberatung topiclodge. Sie war im Expertenbeirat auf Seiten der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zu „Internet und digitale Gesellschaft“. Von 2011 bis 2015 war sie ständige Sachverständige der Enquete-Kommission „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“ und seit September 2013 ist sie die Leiterin des Landesrates für digitale Entwicklung und Kultur in Rheinland-Pfalz. Ein beeindruckendes Profil. Man kann sagen, dass Valentina Kerst etwas vom digitalen Wandel versteht.

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Wenn wir 2016 über Interaktivität reden, worüber reden wir?
Wir reden dann ganz klar über Virtual Reality. Das ist das Nonplusultra, das überlappt alles. VR ist vielleicht noch nicht auf dem Massenmarkt angekommen, aber auf der Gamescom war es jedoch mehr als ersichtlich: Dieses Feeling, ich bin in einer anderen Welt, dominiert eigentlich alles und hat interessanterweise vieles in den Hintergrund gestellt. Das andere ist Gamification, dass Games im Alltag wirklich eine Rolle spielen. Ich lade mir irgendetwas runter, z. B. das Tracking von Daten, dieses Self-Measuring. Das sind die zwei großen Trends, die eigentlich durch die ganze Gamescom gingen.

Jetzt fahren ja alle auf Pokémon Go ab, das ist die erste Massenanwendung von Augmented Reality.
Richtig, Augmented Reality ist die alte Idee, dass ich irgendwo in der Landschaft bin und mir das Smartphone hinhalten kann. Das ist schon ganz gut, lediglich technisch nicht so brillant wie Virtual Reality. Wenn die Playstation jetzt mit der VR-Brille kommt, wird das das große Ding sein. Augmented Reality ist zwar ganz nett, aber so richtig überzeugt bin ich davon nicht.

Die Zukunft lässt sich ja sehr schwer denken. Die Futurologen Wiener und Kahn lagen des Öfteren in ihrem Optimismus daneben.
Genau, viele Sachen fallen weg. Virtual Reality ist ja eigentlich auch nichts Neues, das gab’s ja auch schon als Idee. Nur ist es jetzt erst technologisch überzeugend.

Es ist auch zu erwarten, dass sich Künstler damit beschäftigen. Es gab erste Ansätze beim Platine-Festival in Ehrenfeld.
Ja, da sah man, wie Kunst und Digitalität zu einer neuen Kunstform verschmelzen. Das war wirklich toll zu sehen. Von der Kunst können natürlich auch Impulse auf den Massenmarkt ausgehen. Die Platine ist da schon ein ganz guter Seismograf.

Man muss im Interaktivitätsbereich ganz neue Schnittstellen definieren, die VR-Brille ist eine solche. Was haben wir in der Zukunft noch zu erwarten?
Die Brille ist natürlich nicht nur zum Spielen total gut, sie ist es auch in konkreten Anwendungsfällen. Gehen wir mal in ganz andere Branchen, z. B. Kliniken, Krankenhäuser – der Sektor Medizin ganz generell.

Digitalexpertin Valentina Kerst
(Bild: Hilmar B. Traeger )

Google Glass hat sich nicht durchgesetzt.
Ich glaube, dass das iPhone 9 auch so eine Art Virtual-Reality-Funktion haben wird.

Wie wird die andere Schnittstelle funktionieren?
Meistens haben wir es ja heutzutage mit Touchscreens zu tun. Auf der Platine waren noch Künstler zu sehen, die mit Kinect gearbeitet haben, also mit berührungsloser Steuerung. Ist da mehr zu erwarten? Oder war Kinect auch so eine Spaßsackgasse? Dieses Feld würde ich immer noch als Industrie-4.0-Thema sehen. Es kann in Alltagssituationen vielleicht noch ganz sinnvoll sein, beim Check-in am Flughafen zum Beispiel. Ich komme beim Check-in herein, werde per Augensensor oder Daumen erkannt – das könnte funktionieren, aber das sehe ich noch nicht. Da bin ich tatsächlich etwas skeptisch. Ich würde mir aber wünschen, dass wir das hätten.

In Köln gibt es so einen Bildschirm mit berührungsloser Funktion. Für 10.000 Euro wurde er da hingestellt und am Ende des Tages kann er PowerPoint präsentieren, mehr aber auch nicht. Theoretisch kann man natürlich mit dem Finger etwas per Sensor von A nach B schieben, man kann es größer machen, aber es funktioniert nicht. Die Leute haben keine Zeit, sich einweisen zu lassen, oder die Einweisung funktioniert nicht. Technologisch ist das Ganze noch lange nicht ausgereift.

Eine andere Problematik hinter Interaktivität, Virtual Reality und Augmented Reality ist diejenige, dass die Daten irgendwo gesammelt werden. Das lässt sich nicht vermeiden.
Sonst funktioniert das System auch nicht. Das Datensammeln ist schon eine Herausforderung. Allerdings muss ich mich fragen, wie ich mich bewege oder wo ich bin, und was wirklich angerichtet werden kann. Nehme ich die VR-Brille bei der Playstation, dann ist das okay. Ich habe heute schon meine Tastatur oder meine Konsole benutzt, da könnten die auch gucken, wie schnell ich bin, ob ich ein guter Spieler bin. Allerdings sehe ich das bei der Interaktivität eher weniger. Die meisten Apps wollen ja keine persönlichen Daten als solche, die wollen GPS-Daten, um dich zu lokalisieren und gleichsam Zugriff auf die Kamera, um Fotos zu haben. Aber das hält sich noch in Grenzen. Deshalb bin ich da noch entspannt.

Wenn ich eine Serie wie „Homeland“ sehe, habe ich den Eindruck, Big Data funktioniert schon. Man weiß nicht, inwieweit sich Fiktion und Realität schon überdecken. Was sammeln NSA oder CIA tatsächlich? Was können die mit dem Einklicken in unsere Netze an Daten sammeln?
Da haben Sie natürlich Recht. Man kann schon sehr viel tracken, das ist richtig. Mein Hinweis wäre die dezentrale Datenbank. Das heißt, ich versuche möglichst, die Systeme so zu nutzen, dass sie an verschiedensten Stellen gespeichert werden. Das macht es dann schwieriger, ein Profil über mich zu erstellen. Wenn ich alles an einer Stelle habe, ist das tatsächlich problematisch. Benutze ich also z.B. WhatsApp oder Facebook, dann ist ja klar, dass die super viel von mir wissen – eigentlich alles. Ich versuche einfach, verschiedene Systeme für das SMS-Senden, für soziale Netzwerke oder einen Blog zu benutzen und nicht alles auf Facebook zu posten. Das ist schon mal ganz gut. Und natürlich ist eine Verschlüsselung der Daten wichtig.

 

“Wir haben doch alle ein Bedürfnis nach sozialem Kontakt”.


Wer ist alles an unseren Daten interessiert?

Alle! Es ist wirklich so. Das Thema „Daten“ wird in den nächsten zehn Jahren definitiv dominieren. Wir sind heute an einem Punkt, an dem man sieht, dass einige Unternehmen es verstanden haben, dass Daten wichtig sind. Das sind Großkonzerne, die natürlich auch die Kapazität an Mitarbeitern haben. Bei mittelständischen Unternehmen kommt dieses Bewusstsein erst jetzt. Man merkt, dass die Daten vielerlei Punkte bieten: erstens natürlich Effizienz. Ich kann gucken, wie meine Kunden aufgestellt sind, welche Produkte ich verkaufen kann.

Dazu kommt natürlich die Marktforschung. Zum Beispiel der Modeladen „Zara“ produziert von allen Kollektionen, von allen Produkten genau dieselbe Stückzahl. Diese werden ausgeliefert und mehr wird erst mal nicht produziert. Sobald Zara in seinem Warenwirtschaftssystem erkennt, dass ein Produkt super geht, wird nachproduziert. Die Produktion läuft praktisch just-in-time. Und die zweite Produktionswelle, die auf diesen Daten beruht, wird dann auch in Europa hergestellt. Das geht natürlich nicht in Taiwan, weil die Lieferung sonst zu lange dauert. Daher produziert man wieder in Portugal, Spanien oder der Türkei, damit das Produkt eine Woche später im Laden steht. Hier sind Daten für Unternehmen sehr spannend, so wird beispielsweise Überproduktion vermieden.

Die nächste Frage wäre: Wer kann Daten analysieren? Schon online funktioniert Datenanalyse ganz selten. Meines Erachtens wird der Job des Datenanalysten ein besonders spannendes Berufsfeld sein. Also, wenn ich noch mal studieren könnte…

Das Problem wird sein, dass irgendwann so viele Daten gesammelt werden, dass niemand mehr in der Lage ist, diese zu sichten. Auch dazu braucht man dann Algorithmen.
Genau. Dann stellt sich aber die Frage: Welches Unternehmen ist das Unternehmen, das diesen Algorithmus vorgibt? Es wird sehr unwahrscheinlich, dass der Mittelstand einen Algorithmus für sich entwickelt. Ich glaube, es wird Anbieter geben, die hier Hilfestellung geben, oder eben wieder die Monopolisten, die Großen.

Wir hätten das Interview ja auch über Skype machen können, wir haben aber im Hier und Jetzt die Live-Kommunikation genutzt. Wird es das in zehn Jahren noch geben?
Ich bin ja der totale Optimist, deshalb glaube ich schon. Diese Periode von offline und online, also dass man nur online kommuniziert, wird weniger werden. Das Soziale ist der Wahnsinn, das wird so bleiben. Ich glaube aber auch, dass der Datenverkehr, der Kommunikationsverkehr weiter steigen wird. Wir haben doch alle ein Bedürfnis nach sozialem Kontakt. Und ich finde, dass online auch irgendwie sozial ist. Die Nähe, die man mit den Leuten hält. Die Kombination macht es.

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