Klimaneutrale Messewirtschaft – (Wie) kann das gehen?

CO2-Bilanzierung von Messen in der Kritik

Der öffentliche Druck bezüglich der stärkeren Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in Unternehmen wächst auch in der Messeindustrie. Transparenz und ganzheitliche klimaneutrale Konzepte fehlen jedoch. Kann es eine nachhaltige Messwirtschaft geben?

CO2, grüne Wiese(Bild: Shutterstock / StockBURIN)

Die Öffentlichkeit verfolgt die aktuelle Debatte über die stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in der Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt aufmerksam. Die Kernbotschaften der Wissenschaftler:innen sind klar kommuniziert: Die Erde erwärmt sich schneller und mit ernsten Folgen. Wenn die Menschheit das Risiko des Klimawandels beherrschbar halten will, muss das Wirtschaftssystem grundlegend umgebaut werden. Der öffentliche und politische Druck sowie die Regulierungen nehmen zu. Und auch in der Messeindustrie wächst der Druck bezüglich der stärkeren Berücksichtigung von Nachhaltigkeit. Transparente und einheitliche CO2-Messungen sind entscheidend, um die Betreiber von Messen und Veranstaltungen in eine nachhaltige Zukunft zu führen. Die CO2-Bilanzierung entwickelt sich dabei von einem Nischenthema zu einem wesentlichen Bestandteil der nichtfinanziellen Berichterstattung. Doch hier hält sich die deutsche Messewirtschaft bedeckt. Ein Blick auf die Websites bestätigt dies: Die Messebetreiber haben zwar den Trend zur Nachhaltigkeit erkannt und kommunizieren Maßnahmen. Aber nur zwei der 15 größten Messestandorte führten 2019 eine CO2-Bilanzierung durch und veröffentlichten diese.

Anzeige

CO2-Bilanz: Inhalte nicht klar definiert

Es gibt drei Geltungsbereiche (Scope 1–3), in denen Unternehmen Treibhausgase emittieren. Während Scopes 1 und 2 Emissionen aus direkten unternehmensbezogenen Quellen oder eingekauften Energien umfassen, erfasst Scope 3 Emissionen, die aus Aktivitäten resultieren, die nicht unmittelbar dem Unternehmen zuzuordnen sind (zum Beispiel Geschäftsreisen).

Die Messebetreiber betrachten in ihrer CO2-Bilanz nur ihre unternehmerischen Emissionen, die Messeveranstaltungen werden nicht mit einbezogen. Auf den ersten Blick ist die CO2-Bilanz des Messebetreibers Landesmesse Stuttgart (2019 Scope 1–3: 3.600t CO2) sowie der Hamburg Messe und Congress GmbH (2019 Scope 1–2: 1.894t CO2) deshalb über CO2 sichtlich.

Die Hamburg Messe und Congress GmbH erfasst den Scope 3 noch nicht, weist aber darauf hin, dass die An- und Abreise der Ausstellenden und Key Speaker dazu gehören. Sie hat sich aber das Ziel gesetzt, diese zukünftig zu erfassen. Vorgaben, wie und ob Reiseaktivitäten von den Ausstellenden sowie Besucher:innen im Rahmen von Veranstaltungen mit in den Scope 3 der CO2-Bilanz einfließen, gibt es keine. Bei der Landesmesse Stuttgart enthält der Scope 3 die Anfahrt der Mitarbeitenden und Servicepartner:innen sowie Dienstreisen und Vorketten. An- und Abfahrten von den Ausstellenden sowie Besucher:innen im Rahmen der Veranstaltungen werden jedoch nicht erfasst. Statement der Landesmesse Stuttgart GmbH hierzu: „Bei der CO2-Bilanz handelt es sich ausschließlich um die reinen Geschäftsaktivitäten der Messe Stuttgart, d.h., die Posten Aussteller/Besucher etc. fließen hier nicht mit ein. Daher sind wir auch ein klimaneutraler Messestandort und kein klimaneutrales Unternehmen.“


Info

Die neue EU-Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive) zur Offenlegung nichtfinanzieller Informationen tritt ab 1. Januar 2024 in Kraft. Diese erweitert die Berichtspflichten für alle großen Unternehmen bezüglich deren Auswirkungen auf die Umwelt erheblich. Berichtspflichtig sind demnach alle Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden, unabhängig von einer Kapitalmarktorientierung.


Verheerende Reiseaktivitäten

Untersuchungen zeigen, dass der jährliche CO2-Fußabdruck der globalen Veranstaltungsbranche ca. 10% der weltweiten CO2-Emissionen ausmacht. Dies entspricht dem jährlichen Ausstoß der gesamten Vereinigten Staaten! Berechnungen der Hochschule Macromedia zufolge sind bis zu 90% der Emissionen einer großen, internationalen physischen Messeveranstaltung bedingt durch An- und Abreise von Besucher:innen und Aussteller:innen sowie Übernachtung. Ein Hin- und Rückflug von Bangkok nach Frankfurt verursacht knapp 5t CO2 und von Sydney nach Frankfurt über 13t CO2 pro Person. 2019 betrug die Pro-Kopf-Emissionen in Deutschland 9,7t CO2 – 2t CO2 jährlich pro Kopf ist ein klimaverträgliches Budget. Betrachtet man allein nur die Reiseaktivitäten der 3,2 Mio. Messebesucher:innen aus dem Ausland im Jahr 2019, so ergibt sich aus den An- und Abreiseflügen ein Ausstoß von über 3 Mio.t CO2. Eine Umfrage der Hochschule Macromedia mit Expert:innen bestätigt die Ergebnisse: „Wenn wir von einer CO2-Bilanz sprechen, ist Mobilität der ausschlaggebende Faktor“ und „Klar ist uns allen, dass Net Zero nicht einfach zu erreichen sein wird. Das Hauptproblem bei Scope 3 in der Messewirtschaft liegt in der An- und Abreise der Besucher und hängt letztendlich auch an der Frage, inwieweit man welche Punkte einrechnen möchte.“

Wenige Infos zur CO2-Bilanzierung

Während kleinere, regionale Messen teilweise CO2-bilanziert und durch Kompensation klimaneutral betrieben werden, zeigt eine stichprobenartige Untersuchung großer internationaler Messeveranstaltungen in Deutschland, dass diese selten eine CO2-Bilanzierung durchführen und veröffentlichen. Auch hier zeigt der internationale Vergleich, dass die deutsche Messewirtschaft bei dem Thema CO2-Bilanzierung nicht gut dasteht. So wird CO2 beim Mobile World Congress der GSM Association seit 2011 inklusive dem Scope 3 bilanziert, seit 2014 werden die CO2-Emissionen auch kompensiert. Diese internationale, viertägige Messe verursacht bei 2.200 Ausstellenden und 101.000 Besucher:innen 163.000 Tonnen CO2. Bis zu 90% der Emissionen fallen auf die An- und Abreise sowie die Übernachtung der Teilnehmenden.

Ganzheitliche CO2-neutrale Messekonzepte fehlen

Maßnahmen, die teilweise auch schon von der Messewirtschaft aufgegriffen werden, betreffen überwiegend den Gebäudebetrieb und Energie. Die Umstellung auf Ökostrom, Nutzung von Blockheizkraftwerken und Solar Panels, sowie die Begrünung des Geländes und der Dächer sind häufig genannte Maßnahmen. Dies bestätigt auch der Dachverband der deutschen Messewirtschaft (AUMA), wonach in den kommenden Jahren 450 Millionen Euro in die Sanierung und Modernisierung investiert werden sollen. Das Konzept Präsenzmesse muss unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit und der Kosteneffizienz neu bewertet werden. Studien zeigen: Virtuelle Konferenzen reduzieren den CO2-Fußabdruck um bis zu 94%. Eine weitere innovative und nachhaltige Lösungsansatz ist die Entwicklung von strategisch sinnvoll ausgewählte Konferenz-Hubs für Hybridkonferenzen. Für die reine Geschäftsanbahnung ist es selbst bei komplexen Investitionsgütern nicht notwendig, Maschinen für eine Industriemesse mit hohem logistischem Aufwand und enormen CO2-Emissionen um den Globus zu transportieren, nur um sie potenziellen Käufer:innen am Stand zu präsentieren.

Fazit

Die Zukunft der Messewirtschaft ist geprägt durch den Druck zu handeln. Für ganzheitlich nachhaltig ausgerichtete Veranstaltungskonzepte müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Der AUMA setzt sich zum Ziel, bis 2040 die deutsche Messewirtschaft klimaneutral zu betreiben. Doch die wichtigste Frage zur CO2-Reduzierung, wer bei der CO2-Bilanz die ressourcenintensiven Reiseaktivitäten der Ausstellenden und Besucher:innen verantwortet, bleibt offen. Diese müssen in der CO2-Bilanzierung und dem entsprechende Klimareporting inklusive Emissionsdaten, Zielen, Status, Risiken und Chancen sowie Managementansatz einbezogen werden. Hier muss die Messewirtschaft handeln und zur Transparenz beitragen.


Quellen:

  • Belkhir, L., & Elmeligi, A. (2018). Assessing ICT global emissions footprint: Trends to 2040 & recommendations. Journal of cleaner production, 177, 448–463.
  • Neugebauer, Sabrina; Bolz, Maren; Mankaa, Rose; Traverso, Marzia (2020). How sustainable are sustainability conferences? – Comprehensive Life Cycle Assessment of an international conference series in Europe. Journal of Cleaner Production, 242.
  • Tao, Y., Steckel, D., Klemeš, J. J., & You, F. (2021). Trend towards virtual and hybrid conferences may be an effective climate change mitigation strategy. Nature communications, 12(1), 1–14.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.