Mit Inklusion die Zielgruppe vergrößern

Barrierefreiheit für digitale Events

Für soziale Gerechtigkeit sind Barrierefreiheit und Inklusion essenziell. Wenn bei digitalen Events schon die Hürde der Anreise wegfällt, warum dann nicht auch andere Barrieren abbauen?

Hub_Situation(Bild: Bam Images für N&M)

Selbst wenn die Zielgruppe eines Events – digital oder physisch – spitz ist, soll die Veranstaltung die größtmögliche Menge an Interessierten erreichen. Energie und Budget fließen in Marketing, prominente Gäste und attraktiven Content. Dabei vernachlässigen Veranstalter oft einen wichtigen Teil der Zielgruppe: Personen, die aufgrund der Sprachbarriere sowie kognitiver oder körperlichen Beeinträchtigungen dem Event nicht folgen können. Während das auf baulicher Ebene mit Rollstuhlrampen o. ä. mittlerweile vermehrt angewandt wird, gibt es bei der Barrierefreiheit auf inhaltlicher Ebene noch Möglichkeiten zur Verbesserung. Dies gelte vor allem für digitale Events, wie Klaus Ziegler bekräftigt. Ziegler ist seit 29 Jahren Konferenzdolmetscher, leitete im Rahmen einer Professur an der Hochschule für Angewandte Sprachen des SDI München den Masterstudiengang Konferenzdolmetschen und ist für die Neumann&Müller GmbH & Co. im Bereich Remote Simultaneous Interpreting (RSI) tätig.

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Was ist Barrierefreiheit?

Nicht nur Gebäude oder Verkehrsmittel können barrierefrei sein, sondern laut §4 BGG eben auch „akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen […], wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig.“ Die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 bezeichnet Inklusion als gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben und als Menschenrecht.

Klaus Ziegler
Klaus Ziegler (Bild: Fotostudio SX Heuser)

Habe die Ehre, liebe Sprachbarriere

Eine weitere Form der Barrierefreiheit ist Mehrsprachigkeit. Dies wird durch die Grundrechte-Charta der EU unterstützt, die Diskriminierung aufgrund von Sprache verbietet, um die sprachliche Vielfallt der europäischen Länder zu achten. In der Praxis sei das laut Klaus Ziegler nicht immer 1:1 bei jedem Event umsetzbar, doch es sei schon ein Anfang, den Gedanken daran im Hinterkopf zu haben. Gleichzeitig reiche es aber auch nicht aus, jedes Event auf Englisch durchzuführen, um sich die Lokalisierung der Veranstaltung zu ersparen.

Generell beschränke sich Dolmetschen nicht nur auf die Übersetzung von einer Sprache in eine andere (interlingual). Bereits in der deutschen Sprache lasse sich intralingual viel übersetzen. Für Gehörlose kann die deutsche gesprochene Sprache z. B. in Form von Untertiteln in Standard-Schriftsprache übersetzt werden. Auch das simultane Dolmetschen in die deutsche Gebärdensprache ist möglich und durch Einblendungen umsetzbar.

Besonders interessant ist das Dolmetschen in einfache oder leichte Sprache. Das Ziel der einfachen Sprache ist es, Fach- oder Standardsprache verständlicher auszudrücken und somit ein breiteres Publikum zu erreichen. Die leichte Sprache ist hingegen eine Sprache mit feststehendem Regelwerk. Damit auch Menschen mit geringer Kompetenz in Deutsch der Veranstaltung folgen können, gibt es u. a. diese Vorkehrungen: kurze Sätze, kein Genitiv, vermehrte Nutzung von Bildern sowie Zeilenumbrüche nach jedem Satz.

Natürlich sind diese Möglichkeiten nicht nur in der deutschen Sprache möglich, sondern können auch von der deutschen Lautsprache in Gebärdensprachen, Schriftsprachen oder vereinfachte Sprachen anderer Länder erfolgen. Wichtig sei laut Ziegler bei der Planung des digitalen Events daher, den spezifischen Bedarf der Zielgruppe abzustecken. So könne man sich bei spezialisierten Dienstleistern passende Angebote einholen, die auf das eigene Event zugeschnitten sind.


VKD – Branchenstandards auch in Zeiten des Wandels

Der Verband der Konferenzdolmetscher (VKD) im Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ e.V.) ist die Interessenvertretung für Konferenzdolmetscher:innen und deren Kund:innen in Deutschland. Kernaufgaben sind u. a. die Qualitätssicherung durch Standards und Weiterbildung sowie die Beobachtung neuester Marktentwicklungen und Trends.

bdue_logo_vkd_icon

Dabei wird deutlich: Das Berufsbild verändert sich. Die barrierefreie Kommunikation wird immer wichtiger. So werden z. B. nicht mehr nur Simultandolmetscher:innen, sondern auch Dolmetscher:innen für Gebärdensprache oder Schriftdolmetscher:innen bei Veranstaltungen jeder Art immer häufiger angefragt. Auch für das Übertragen einer Fachsprache in leichte Sprache werden zunehmend qualifizierte Dolmetscher:innen gesucht. Um die Qualitätsstandards auch bei der barrierefreien Kommunikation zu sichern, bietet der VKD seinen über 730 Mitgliedern maßgeschneiderte Fortbildungen an. In der verbandseigenen Datenbank auf der Website kann gezielt nach Dolmetscher:innen mit entsprechenden Qualifikationen gesucht werden.

vkd.bdue.de


Technische Umsetzung bei digitalen Events

Für das Übersetzen von und in Laut-, Gebärden- und Schriftsprache gibt es neben Humandolmetscher:innen auch maschinelle Dolmetscher. So kommen z. B. bei Zoom-Konferenzen oder bei YouTube-Videos bereits Programme zum Einsatz, die automatisch übersetzte Untertitel generieren. Dies ist im privaten Umfeld nützlich, für Geschäftliches und Events allerdings nicht ausreichend. Hier birgt die Kombination aus Human- und maschinellem Dolmetschen Vorteile: Eine Spracherkennungssoftware kann z. B Schriftdolmetscher:innen unter die Arme greifen.

Untertitel

Untertitel sollen Gehörlosen und Menschen mit Hörbehinderung Inhalte der Veranstaltung näherbringen. Auch Menschen aus anderen Sprachräumen profitieren davon, das Gesagte zusätzlich lesen zu können. Gerade bei im Voraus aufgezeichneten Veranstaltungen oder Seminaren bieten sich Untertitel an. Diese können entweder als „Open Captions“ direkt eingebaut werden oder als „Closed Captions“ ein- oder ausgeschaltet werden.

Gemeinsame Untertitelrichtlinien für den deutschen Sprachraum sorgen dafür, dass Untertitel so verständlich wie möglich konzipiert werden. Dazu gehört ein Maximum von zwei Zeilen, mit einer maximalen Zeichenzahl pro Zeile. Außerdem werden die Standzeiten, Abstände und Farbgebungen der Untertitel reglementiert. Für Geräusche, Musik und Gedankengänge gibt es spezielle Vorgaben, die den Lesevorgang so organisch wie möglich gestalten sollen.

Live-Untertitel orientieren sich ebenfalls an diesen Vorgaben, allerdings sind auch Abweichungen erlaubt. So kann z. B. bei Live-Sendungen und dementsprechend ungeplanter Gesprächskulisse der Mindestabstand zwischen zwei Untertiteln entfallen, um das Gesagte abzubilden.

Gebärdensprache

Das Dolmetschen in die Gebärdensprache richtet sich an hörbehindertes oder -beeinträchtigtes Publikum, dass einer Gebärdensprache mächtig ist. Schon bei der Planung müssen Veranstalter klären, in welche Gebärdensprache übersetzt werden soll. Denn auch hier gibt es länderspezifische Sprachen, die wiederrum regionale Eigenheiten haben.

Während des Events ist es wichtig, durch die richtige Positionierung, Beleuchtung und Kameraqualität für gute Sichtbarkeit der dolmetschenden Person zu sorgen. Auch der Bildausschnitt zählt: Die Hände müssen konstant sichtbar sein – auch bei größeren Gesten. Ein ruhiger Hintergrund und die richtige Platzierung des Dolmetsch-Fensters im Gesamtlayout der Veranstaltung müssen ebenfalls beachtet werden. Zudem müssen Dolmetscher:innen mit hochwertigem Audio der Veranstaltung versorgt werden.

Schriftdolmetschen

Doch bei weitem nicht alle hörgeschädigten Menschen verstehen Gebärdensprache. Für diese Zielgruppe ist Schriftdolmetschen interessant. Die Lautsprache kann entweder komplett, zusammenfassend oder auch in leichter oder einfacher Sprache übersetzt werden. Der Unterschied zum bereits erwähnten Untertitel liegt darin, dass die Niederschrift deutlich mehr Platz einnimmt: Beschränkt man sich bei Untertiteln auf zwei Zeilen, sind es beim Schriftdolmetschen bereits drei bis fünf Zeilen. Dementsprechend muss genügend Platz für den Schriftcontent eingeplant werden. Technisch werden Sprachdolmetscher:innen bei Online-Events über spezielle Software eingebunden.

Lautsprachendolmetschen & Remote Simultaneous Interpreting

Lautsprachendolmetscher:innen übersetzen simultan Vorträge in eine andere Sprache. Das geschulte Personal sitzt in speziellen Dolmetschkabinen mit DIN/ISO-geprüfter technischer Ausrichtung. Ähnelten diese Kabinen laut Ziegler auf Präsenzveranstaltungen aus Platzgründen oft eher Hasenställen, eröffnet der Fokus auf digitale Live-Events nicht nur auf Kundenseite neue Möglichkeiten. Die Technik für das Ferndolmetschen – auch Remote Simultaneous Interpreting (RSI) genannt – muss nicht mehr zwingend mobil sein, damit sie in kürzester Zeit auf beengtem Raum aufgebaut werden kann. Die Arbeitsumgebung kann nach ergonomischen und hygienischen Gesichtspunkten optimiert werden.

Aus sogenannten RSI-Hubs werden digitale Events dezentral gedolmetscht. Die verwendete Software zur Audioübertragung lässt sich in gängige Eventplattformen integrieren. Über Collaboration-Software wie z. B. Zoom oder Teams lässt sich das nicht bewerkstelligen, da die Sprachverständlichkeit weder für die dolmetschende Person noch für das Publikum qualitativ ausreicht. Auch ein externes Monitoring und die Kontrolle über eine Audioregie ist schwierig, da jegliche Übertragungswege in der Cloud der jeweiligen Software liegen.

Der Datenstrom läuft sodann über die Server des RSI-Anbieters, wie z. B. Neumann&Müller, über die auch der Support der Teilnehmenden laufen kann. Die Audioausspielung erfolgt über Landingpages oder andere kundengerechte Konzepte, unter Berücksichtigung der DSGVO. Sollte RSI für ein Präsenzevent genutzt werden, sind auch Ausspielwege über Funk, Infrarot oder mit Hilfe von BYOD (Bring your own device)-Konzepten möglich.

Lautsprachendolmetscher:innen übersetzen simultan Vorträge in eine andere Sprache.
Lautsprachendolmetscher:innen übersetzen simultan Vorträge in eine andere Sprache. (Bild: N&M)

Fazit

Barrierefreiheit werde laut Klaus Ziegler für Events immer wichtiger werden, sodass sich Agenturen und Veranstalter mit dem Thema auseinandersetzten müssten. Dabei gehe es neben der Inklusion auch noch um eine andere gesellschaftliche Verantwortung: Dezentrale Events, die mehr Personen aus der relevanten Zielgruppe ansprechen, sind auch in Bezug auf den Klimaschutz nachhaltiger. Hinzu kommt eine Reichweitenerhöhung, da durch die passenden Lokalisierungen der Content weltweit an neue Zielgruppen vermittelt werden kann. Doch vorab müssen die Zielgruppen und ihre Bedürfnisse klar umrissen werden, damit in Zusammenarbeit mit Dolmetsch-Sachkundigen die passende Unterstützung geplant werden kann. Dabei können dezentrale und hybride Arbeitsweisen genutzt werden sowie Mischformen von Dolmetsch-Arten dem Kundenwunsch angepasst werden. Zusätzlich kann auch der Kontakt zu Behindertenverbänden nicht schaden, da dort nötige und praxisnahe Richtlinien zur Verfügung stehen.

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