Dezentrale Produktion als neue Normalität

Remote Operations: Eventproduktion aus der Ferne

IoT und IP-Technologie aber auch Budgetdruck machen es mittlerweile nötig oder möglich, Produktionen „remote“ aufzusetzen. Wie dies funktioniert, erklärt Lutz Rathmann von Riedel Communications, die sich mit Remote Operations ein neues Standbein aufgebaut haben.

Wacken World Wide Remote Operations Center bei Riedel in Wuppertal (Bild: Riedel Communications)

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Für Unternehmen wie Riedel Communications, die in mehreren Märkten unterwegs sind, bietet sich aktuell die Chance, einen Know-how-Transfer herzustellen. Die Pandemie-Herausforderungen trafen bei Riedel auf eine Situation, in der sowieso gerade über neue Produktionsszenarien nachgedacht wurde: „Wir haben vor Corona schon mit Remote- und IP-Produktionen gearbeitet. Ziel: Wie kann man in der Zukunft skalieren? Stark getrieben von den Themen Nachhaltigkeit und Kostensensitivität“, berichtet Lutz Rathmann, verantwortlich bei Riedel Communications für den Geschäftszweig Managed Technology, „müssen wir in fünf Jahren wirklich noch mit vielen Leuten zu einem Projekt reisen? Muss ich weiterhin das gesamte Equipment verschiffen? Ergeben sich nicht dadurch, dass IoT [Internet of Things, Anm. d. Red.] und IP solchen Aufwind erhalten, nachhaltige Konzepte, die Ressourcen teilen?“ Beeinflusst also auch durch die Frage, wie auf steigenden Budgetdruck reagiert werden könnte. „Events verursachen stets einen hohen Drittkostenanteil: Das ganze Team fährt, braucht Hotels, einen Flieger – davon profitieren andere Wirtschaftszweige, aber der Kunde nicht und auch wir nicht. Es sind nur durchgereichte Posten. Das war der Anlass dafür, uns dem Thema Remote Operations zu widmen.“

Lutz Rathmann, hier im Riedels Remote Operations Center, verantwortet bei Riedel seit 2020 den Geschäftszweig „Managed Technology“.
Lutz Rathmann, hier im Riedels Remote Operations Center, verantwortet bei Riedel seit 2020 den Geschäftszweig „Managed Technology“. (Bild: Detlef Hoepfner)

Zugriff aus der Zentrale überall hin

Eine zentrale Fragestellung: Wie bekomme ich für eine dezentralisierte Produktion überhaupt Akzeptanz beim Kunden? „Dazu gehört ja viel Vertrauen: Ich habe dann z. B. im Motorsport nicht mehr alle Spezialisten vor Ort an der Rennstrecke, sondern einen kompetenten technischen Leiter begleitet von Universalisten, die sich nicht nur mit unseren Kernprodukten, sondern auch gut mit der IP-Thematik auskennen und alle Gerätetypen bedienen können. Außerdem ist vielleicht das Lieblingsgesicht des Kunden, das er jahrelang vor Ort gesehen hat, nicht mehr live dabei, sondern sitzt bei uns im Remote Operations Center (ROC)“, so Rathmann.

Die Corona Krise habe dann aber ganz viele dieser Mauern und Bedenken eingerissen. „Remote Operations wurden auf einmal notwendig, denn wir bekommen gar nicht mehr alle Teams überall hin. Der Techniker im ROC kann aber überallhin zugreifen. Außerdem muss er so nach jedem Einsatz nicht wieder für 14 Tage in Quarantäne oder teuer getestet werden.“ In der Riedel-Zentrale wurden feste und temporäre Flächen geschaffen, von denen aus nun zentral Produktionen betreut werden. „Neben der perfekten technischen Ausstattung wie z. B. eine 2-Gigabit-Ethernet-Daueranbindung an unseren Netzknoten in Frankfurt, sind die Arbeitsbedingungen für die Crew viel flexibler. Also viele Vorteile, vielleicht sogar besser als in der Produktion vor Ort. Und wenn jemand spontan krank wird, dann können wir umgehend reagieren, denn hier am Standort haben wir zahlreiche Spezialisten – direkt, ohne große Anreise.“

Dazu gehören sicher die jetzt unter Riedel-Branding laufenden IP-Lösungen von Embrionix. „Diese sind superstark in Video-over-IP. Wir konnten ja schon lange gut das Thema ‚Audio über IP‘ und zusätzlich lokale wie dezentrale Medienlösungen mit Mediornet und den MPLS-Netzwerken besetzen. Durch Embrionix haben wir eine unheimliche Power bekommen, Videosignale über IP-Netzwerke zu verschicken und zu processen.“

So entsteht ein weiterer Vorteil, während Budgets sich verengen: Technik wird nochmal kleiner und kompakter, lässt sich auch einfacher transportieren. „Die Flugpreise waren dieses Jahr ja teilweise spannender als die Börse. Morgens früh kostete die Euro-Palette von Schiphol nach Barcelona 400 Euro, mittags 4.000 Euro – und am nächsten Tag war der Flug gar nicht mehr da. Wahnsinn. Jedes Gramm, das wir nicht verschicken müssen, Kleinbau und Flexibilität – das ist alles wichtiger geworden. Unabhängig von dem Umweltaspekt, der mir persönlich daran äußerst gut gefällt und unsere Unternehmenskultur reflektiert.“

Remote: für welche Veranstaltungen?

Ab einer gewissen Komplexität einer Veranstaltung kann man fast alles durch Remote unterstützen und verbessern, ist Lutz Rathmann sicher – mit guten Erfolgen für das Budget und die Zuverlässigkeit des Event-Setups. „Wenn ich nicht mehr eine dedizierte Person für einen Task an einem Ort habe, schaffe ich es auch mit einem kleineren Team, mehr Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen. Ganz kleine Unternehmen, die jetzt noch nicht über Remote-Produktion nachdenken, sind dadurch dann vielleicht grundsätzlich imstande, auch zwei Produktionen gleichzeitig an einem Tag zu betreuen. Mit einem attraktiven Preis für die Kunden. So meistert man es, z. B. auch kleinere Gewerke wie Recording und Mixing profitabel und dezentral zu gestalten. Durch den geschickten Einsatz von Remote-Produktionsfähigkeiten können selbst kleine Unternehmen ihr Business skalieren.


„Nicht überskalieren! Sonst ist die Ersparnis durch die Remote Production wieder weg.“

Lutz Rathmann, Director Managed Technology bei Riedel Communications


Herausforderung IT

Remote Operations sind möglich, solange – und das ist der Flaschenhals – die Konnektivität gegeben ist. Medientechnik IP-fähig zu kriegen, alles was das Steuern, Monitoren, Mixen betreffe (also viele Arbeiten außer der Installation vor Ort und der finalen Betreuung), seien absetzfähig – solange genug Bandbreite gegeben und die Latenz gering genug sind. Aber hier bedeutet nicht unbedingt „mehr ist auch mehr“. Lutz Rathmann: „Welche Werte sind denn wirklich relevant für die geplante Produktion? Brauche ich eine Latenz von unter 20 Millisekunden? Oder wirklich eine große Bandbreite? Gleichzeitigkeit ist ja gar nicht unbedingt überall gefordert! Solange ich die Qualität der Übertragung sicherstelle, ist Latenz in diesem Falle gar nicht das Problem. Ein wenig, als wenn ich mit jemandem über Satellitentelefon spreche: Solange wir nicht in der gleichen Sekunde einen Knopf drücken müssen, bekommt der andere das Delay gar nicht mit, außer vielleicht mal als Gedankenpause. Er versteht meine Sprache, das Gespräch funktioniert wunderbar. Bei solchen Produktionen geht es um das Recording, um das Abmischen. Hier ist die Echtzeit gar nicht so hoch gefordert. Eher die Bandbreite und die absolut fehlerfreie Übertragung.“ Was dann wichtig sei: „Nicht überskalieren! Sonst ist die Ersparnis durch die Remote Production wieder weg.“

Kosten einer Remote-Produktion

Und wie schätzen Kunden Aufwand und Budget ein? „Die Erwartungshaltung ist natürlich oft durch die derzeit sehr beliebten Web-Conferencing-Produkte auf Niedrigpreisniveau. Die technische Differenzierung und der Mehrwert sind auf den ersten Blick für den Kunden vielleicht nicht unmittelbar nachvollziehbar. Hinzu kommen Komponenten klassischer Medientechnik, die weiterhin vor Ort dringend erforderlich sind. Für perfektes Bild und einwandfreien Ton benötige ich weiterhin professionelle Kamera-, Ton- und Lichttechnik“, erklärt Lutz Rathmann.

Die teils frustrierenden Ergebnisse mit schlechten Headsets und einfachen Webcams kennt jeder aus seinem Berufsalltag. Trotzdem ist die Erwartungshaltung natürlich erst mal da, dass eine Remote Produktion wesentlich günstiger wird. Die Wahrheit liegt aber in der Mitte. Bei einem B2B-Streaming geht es um Visualität, Kommunikation, Enabling für Conferencing und Interaktion. Der Preis definiert sich also aus den verschiedenen Komponenten, hat aber einen hohen Wirkungsgrad. Das richtige Skalieren für den Kunden und Anwendungsfall liegt dabei im Geschick des Produzenten. IP-Technologien ermöglichen auch einen maßvolleren angepassten Ansatz. „Unsere Erfahrung ist bisher, dass die Kunden das relativ schnell realisieren und auch die Vorteile sehen.“

Statt der befürchteten Qualitätsverschlechterung ergeben sich durch Remote Operations sogar neue Perspektiven für den Content. Lutz Rathman: „Schon bei Conferencing, virtuellen Messen, Veranstaltungen von Herstellern hat mir sehr imponiert, dass die Qualität der Redner und Beiträge sehr gestiegen ist. Man bekommt eine höhere Anzahl sehr guter Leute in solche Formate hinein. Der Aufwand und die zeitliche Limitierung durch das Reisen sind nicht mehr da.“

Fahrer-Interview direkt per Bolero, das in die Artist-Infrastruktur eingebunden ist.
Fahrer-Interview direkt per Bolero, das in die Artist-Infrastruktur eingebunden ist. (Bild: Riedel Communications)

Kameraperspektive: alles always on

Auch die bisherige Fokussierung auf eine fertig aufbereitete Ausspielung könnte zur Diskussion stehen. Warum muss ich mich in der Sportberichterstattung nur auf die Perspektive beschränken, die das Fernsehen gerade zeigt? Und kann ich nicht lieber jemand anderes verfolgen, von dem ich Fan bin, auch wenn er vielleicht nicht unter den ersten drei liegt? Lutz Rathmann: „Man wird sich dahin bewegen, immer mehr IP-fähige Kameras vor Ort zu haben. Wenn ich nur den Skipper sehen will oder jemanden an der Winsch – das Bild ist da, ich muss es nur noch anwählen, damit der Kunde es sieht. Übertragen und gesteuert wird dabei alles über ein spezielles IP-Funk-Netzwerk. Dafür müssen natürlich auch alle Signale on sein, und es ist die Kunst, diese Komplexität in gut managebaren Suiten, auf der App-Ebene, auf der Mischer-Ebene zu handhaben. Wir und die Technik im Hintergrund kümmern uns um die Komplexität, dass es jetzt eben hunderte Signale sind, die gleichzeitig auflaufen. Beim Kunden bleibt es dabei, dass er Bilder sieht, und relativ kurzfristig entscheiden kann, was er damit machen möchte.“

Herausforderung IT-Ausbildung in der Medientechnik

Skills, so ist man überzeugt, seien derzeit noch einmal verstärkt ein Riesenthema: „Der klassische Medientechniker, der in den letzten Jahren zwar auch mit digitalen Bildsignalen, aber noch viel mit Hochfrequenz-Video gearbeitet hat – alle diese Leute brauchen jetzt eine solide IP-Grundkenntnis. Es spitzt sich alles darauf zu, dass man ohne gutes Handwerk im klassischen IP-Netzwerk das Thema Remote Produktion nicht ordentlich in den Griff bekommt. Das heißt: Jeder, der zumindest in der Infrastruktur mitarbeitet, muss bei IP und Netzwerktechnologie einen ganz großen Schritt machen und schnell lernen. Und da geht es nicht nur um ‚was ist eine IP-Adresse?‘. Das betraf auch unsere Experten und Techniker, die regelmäßig weitergeschult werden.“ Wenn man die Grundlagen nicht richtig gut beherrscht – man nicht weiß, wie es zu Laufzeiten kommt, zu Paket-Fehlern, wie die Layer im Netzwerk funktionieren –, dann lassen sich Flaschenhälse auch nicht erkennen, auf die eine Remote-Produktion vielleicht zuläuft. Dann passt das Netzwerk-Design gegebenenfalls nicht richtig zur Anforderung des Kunden. Im Worst Case taucht dadurch inmitten der Produktion ein nicht zu lösendes Problem auf. Sehr wichtig ist hier zu beachten, dass die Produktionsumgebung dabei gezielt erweitert wird. Hier spielen Sicherheitsthemen wie Zugriffe und Datensicherheit eine extrem wichtige Rolle.

Wacken World Wide Remote Operations Center bei Riedel in Wuppertal
Wacken World Wide Remote Operations Center bei Riedel in Wuppertal (Bild: Riedel Communications)

Zukunft: weitere Features kommen

Die Entscheidung für den Endanwender zur Wahl des richtigen Equipments werde durch IP-basierte Netzwerke und Systeme, wenngleich es im Moment komplexer erscheinen mag, langfristig einfacher. Man müsse sich mit seinem Anwendungsfall beschäftigen: Was möchte ich am Ende realisieren? Wie skalierbar soll das System zukünftig sein?

„Wir haben aufgrund der Pandemie letzte Saison unzählige Konnektivitätslösungen und kleine Intercom- oder Videosetups an die skurrilsten Orte geschickt. Weil zum Beispiel auf einmal ein Ingenieur nicht mehr zur Formel 1 fahren konnte, da er auf dem Weg zwischen zwei Rennen positiv getestet wurde, mussten wir spontan Möglichkeiten schaffen, aus dem Hotelzimmer am Event mitzuarbeiten. Teilweise konnten Mitarbeiter unserer Kunden, fast ohne Vorwarnung, nicht mehr in gewisse Länder einreisen. Also lieferten wir stattdessen mobile Setups für eine sichere Verbindung und Smartpanels in Hotels und Homeoffices. Die dafür schon vorbereitete Technologie wurde vorher noch nie in so einem Umfang in Remote-Konzepte eingebunden.“ Dabei wird es sicher nicht bleiben und es werden weitere Features entstehen. „Spezielle Monitoring-Möglichkeiten und Redundanzkonzepte, Plug’n’Play-Fähigkeiten, um an den Remote-Einsatzorten ohne oder mit einer minimalen Anzahl von Technikern auszukommen, präventive Diagnostik und viele weitere Themen sind in der ständigen Weiterentwicklung.“

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