Kreativität liebt Chaos

Von Perfektion und Anarchie

Wer gute Kommunikation will, muss sich auf Prozesse einlassen. Das ist im gegenwärtigen Auftragsgefüge nicht einfach. Zugegeben. Aber wenn wir immer nur die Ergebnissicherheit der Tütensuppe zulassen, dürfen wir uns nicht wundern, dass alles gleich schmeckt.

Das Atelier von Francis Bacon in der City Gallery in Dublin
Das Atelier von Francis Bacon in der City Gallery in Dublin

„Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“ Das berühmte Nietzsche-Zitat aus „Also sprach Zarathustra“ ging mir sofort durch den Kopf, als ich im Sommer das Atelier von Francis Bacon in der City Gallery in Dublin sah. Reisen bildet. Dieses Atelier aus den 7 Reece Mews in London wurde sechs Jahre nach Bacons Tod von seinem Freund und Erben John Edwards dem vorbenannten Kunstmuseum gespendet. Restauratoren bauten es in Kensington sorgfältig ab, packten es ein, verschifften es, packten es in Dublin ebenso sorgfältig wieder aus und da steht es nun am Parnell Square und gibt Einblicke in die intime Arbeitswelt eines der wichtigsten Malerkünstler des 20. Jahrhunderts. Die erste Einsicht ist die, dass es wirklich nicht auf Größe ankommt. Das Ding ist nämlich verdammt klein und man fragt sich, wie er hier seine großen Schinken malen konnte. Die zweite Einsicht ist, dass er beim Malen gerne guten Champagner trank. Viele Kartons legen darüber ihr stumm verknautschtes und zerrissenes Zeugnis ab. Das, was dort aber aus diesem überall bunt befleckten Chaos von Material, Pinseln, Farben herauskam, war großartig und weltumspannend. Und wem Kunst kein Kriterium ist, zieht den Hut ob der unglaublichen Preise am Kunstmarkt für Bacons Werk. Dabei hatte dieser Kunstraum Atelier keine innere Ordnung, die fand Bacon beim Prozess des Malens – der Umsetzung aus dem Hirn auf die Leinwand, bei der er gerne auf die sonst übliche Grundierung verzichtete. Leute, es kommt darauf an, sich zu unterscheiden, wenn man richtig wahrgenommen werden will!

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Friedrich Nietzsche in „Also sprach Zarathustra“

Und man muss bereit sein, die Dinge immer wieder infrage zu stellen, um das Beste zu erreichen. Einem Verkäufer ist das egal, der will mit einem Produkt den höchstmöglichen Profit erzielen. Jemand, dem es um gelungene Kommunikation geht, darf nicht so denken. Bei einem Gespräch kam die These auf, dass es Kreative nicht so mögen, wenn sie ihre Konzepte nochmal überdenken sollen. In meinen Augen sind das die falschen Kreativen. Kreativität heißt doch, immer wieder die Dinge neu zu erfinden, so dass sie letztlich so gut sind, dass man sie erstmal nicht besser machen kann. Dann kommt nämlich der Faktor Distanz ins Spiel, der einem Kreativen hilft, sein Werk zu betrachten. Die Zeit ist dafür ein wichtiges Objektiv. Den Profi-Künstler und den Amateur unterscheidet übrigens nicht, wie er seine Bilder malt, sondern wie viele er auf dem Weg zum Richtigen wegschmeißt. Ohne Großzügigkeit geht es nicht.

Das zeigen auch der deutsche Film und das gebühren- wie verbrauchfinanzierte Fernsehen. Und das liegt nicht allein an den höheren Budgets im Ausland. In diesem Ausland wird ein Drehbuch gern zehn Mal so oft umgeschrieben, bis Situationen und Dialoge passen, anstatt sich mit dem Naheliegenden zu begnügen. Man sieht und hört es ihnen an. Das berühmteste Beispiel ist „Casablanca“. Die Vorlage war das unaufgeführte Theaterstück „Everybody Comes to Rick’s”, das in mehreren Phasen von mehreren Autoren(teams) zu dem gewaltigen Allzeitblockbuster gewendet wurde. Auch beim Film kommt es – wie bei allen Künsten – auf die Einstellung an: „Ein Künstler muss in derselben Verfassung an sein Werk gehen, in der der Verbrecher seine Tat begeht.“ Das ist die Einstellung von Thomas Mann.

Das war natürlich einfacher, als man kommunikativ noch die Carte blanche hatte. Agenturen müssen aber ihren ungeduldigen Kunden beibringen, dass der chaotische Schleimhaufen am Anfang des Lebens zum Werden hinzugehört. Wer da schon einen Adonis herzeigen will, gebiert bestenfalls eine Käthe-Kruse-Puppe – die so aussieht als ob, aber auch nur so lebendig ist, wie das Plastik, aus dem sie besteht.

Das Café und Restaurant "ArdBia" in Galway
Das Café und Restaurant “ArdBia” in Galway

Und noch mal: Reisen bildet! Also westwärts von Dublin, da kommt irgendwann nur noch viel Meer, und dann noch Amerika. In Irlands wildem Westen, der Stadt namens Galway, steht am Spanish Arch mit Blick auf den alten Hafen das „ArdBia“, ein äußerlich bruchsteinig rustikales Café und Restaurant, das zu dem Besten gehört, das ich bislang begessen habe. Die Zutaten gehören dort zu dem Feinsten, das eine geachtete und nicht vergewaltigte Natur zu bieten hat. Diesen edelrohen Zutaten – wie auch dem ganzen Personal, das damit umgeht – hat die Chefin Aoibheann McNamara den Charakter gelassen. Selbstbewusste Menschen, die alle mit Kunst, Musik oder Design zu tun haben, bedienen einen mit dem Stolz, den man tragen kann, wenn man/frau eine gute Arbeit für ein gutes Produkt macht. Dann kommt der Gast/Kunde. Mensch, das macht ganz schön schön und herrlich lecker. Sowas bekommt man mit servilen Erfüllungsgehilfen nicht hin. Niemals nicht!

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