Die interessantesten neuen Regisseure sind Frauen

Interview mit Theaterregisseurin Angela Richter

Die Zeiten, in denen mutige Theaterleiterinnen und Pionierinnen wie Pia Bierey oder Helga Müller-Serre aus ihren Theatern gemobbt wurden, sind gar nicht so lange her, aber wohl endgültig vorbei. Karin Beier, jetzt in Hamburg, oder Shermin Langhoff, in Berlin, holten in den letzten Jahren den begehrten Titel „Theater des Jahres“. Das ist für die Bühne so etwas wie der Sieg in der Ersten Bundesliga im Fußball. Die Regisseurinnen Susanne Kennedy, Katie Mitchell oder Angela Richter schaffen neue thematische und inhaltliche Reize. Wir trafen Angela Richter in Köln.

Angela Richter
Angela Richter ist eine von vier Hausregisseuren am Schauspiel Köln. (Bild: Hilmar B. Traeger)

In der Domstadt hat die grazile Frau mit den kroatischen Wurzeln ganz selbstverständlich den Raum eingenommen, der in der Männerdomäne Theater den Frauen meist verwehrt war. Im Tanz durfte Frau sich austoben. Das Schauspiel war den Löwenkönigen vorbehalten. Und Angela Richter hat gleich noch eine Schnittstelle in einen anderen vermeintlichen Männerraum aufgemacht: den der Computerfreaks und des World Wide Web. So heißt ihr aktuelles Projekt, das sie schon mal vor ein paar Jahren in Hamburg versuchsweise startete, auch „Supernerds“. Es geht um unsere Daten, deren Sicherheit und die bekannten ambivalenten Helden. Dieses Projekt ist ein wirkliches Medienereignis, weil sie diese Medien in den Theaterabend geschickt integriert und so ein verschachteltes, aber Übersicht schaffendes Gesamtkonstrukt formt. Die Zukunft der Regie ist weiblich, auch wenn es gegen Angela Richter den üblichen Frauenvorwurf gab, dass sie zu sehr Partei nähme. Das kann man getrost als letztes Aufbäumen gegen eine neue Realität verstehen. Angela Richter gibt einen Einblick in ihre Arbeit und ihre Philosophie von Inszenierung.

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Weshalb haben Sie sich für das Theater und den Beruf der Regisseurin entschieden?
Das war keine direkte Entscheidung, sondern eher eine Folge von Dingen, die ich nicht gemacht habe. Das Interesse für das Theater wurde – ganz typisch für viele – in der TheaterAG am Gymnasium geweckt. Kurz dachte ich, dass ich Schauspielerin werden will. Ich fand den Probenprozess des Theaters total gut, habe aber relativ schnell gemerkt, dass z. B. bestimmte Opferrollen oder das ständige Angeschaut werden wollen oder müssen nichts für mich sind. Über Studien der Germanistik, Slawistik, Anglistik und der Chemie in Tübingen, die ich meistens nach der Zwischenprüfung abgebrochen habe, bin ich zu meiner ers ten Hospitanz und Assistenzstelle bei Karin Beier am Hamburger Schauspielhaus gekommen. Das war Mitte der 90er Jahre. In der Praxis habe ich gesehen, dass Theaterregie genau das ist, was ich machen möchte. Ich habe dann bei Jürgen Flimm an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg studiert. Es war das erste Studium, das ich auch zu Ende gebracht habe.

"Supernerds - Ein Überwachungsabend"
„SUPERNERDS – Ein Überwachungsabend“, eine WDR-Produktion mit dem Schauspiel Köln, Aufzeichnung vom 28. Mai 2015 aus dem Depot 1. (Bild: WDR/Herby Sachs )

Haben Sie als Künstlerin eine Botschaft?
„Supernerds – ein Überwachungsabend“, mein letztes Stück, ist weniger eine Botschaft als der Versuch, die Bevölkerung aufzuklären und aufzurütteln.

Als Künstler steht man ja irgendwann vor der Entscheidung, ob man auf der Seite der Manipulation mitmachen will oder auf Seiten der Aufklärung.
Das stimmt. Entweder man macht beim System mit, ist willfährig und profitiert eventuell auch davon oder eben nicht. Für mich schien diese Variante nicht so attraktiv zu sein.

Für mich ist Theater ein Labor, das an der Wirklichkeit forscht. Können Sie damit etwas anfangen?
Ja. Ich habe mich auch immer mehr für Wirklichkeit im Theater als für Fiktion interessiert. Den Spruch „Truth is stranger than Fiction“ würde ich unterschreiben.

Bettina Böttinger vor der Illumination von Edward Snowden
Anwalt Wolfgang Kaleck, WDR-Moderatorin Bettina Böttinger und die Illumination von Edward Snowden auf der Theaterbühne des Depot 1 zu „SUPERNERDS – Ein Überwachungsabend“, einer WDR-Produktion mit dem Schauspiel Köln. (Bild: WDR/Herby Sachs )

Bei Ihrem letzten Stück habe ich den Eindruck gewonnen, dass Prozesse ein ganz wichtiger Teil Ihrer Arbeit sind.
Schon, sie sind gar nicht davon zu trennen, weil ich auch sehr langwierig arbeite. Ich habe dieses Stück, wenn man’s genau nimmt, vor drei Jahren angefangen, mit „WikiLeaks“, als ich noch am Off-Theater war. Da habe ich noch nicht geahnt, dass ich ein paar Jahre später all die Möglichkeiten habe, es als „Supernerds“ an einem größeren Stadttheater zu verwirklichen. Und dann noch zusammen mit dem mächtigen WDR, der Maschinerie dahinter und der ganzen medialen Aufmerksamkeit, die für mich bewusst ein Teil des Kunstwerks geworden ist. Vielleicht ist die Berichterstattung über das Stück und das bewusste Lenken dieser Berichterstattung sogar effektiver und machtvoller für das Ziel und viel inszenierter als die eigentliche Inszenierung gewesen. Das war für mich auch eine neue Form.

Sie haben bei Ihren Projekten auch mit bildenden Künstlern zusammengearbeitet – sind sogar mit einem verheiratet.
Stimmt, sehr lange schon. Ich war auch von Mitte der 90er bis Anfang der 2000er Teil einer Künstlergruppe, der „Akademie Isotrop“. Da waren Leute wie Jonathan Meese dabei, mit dem ich später auch weitergearbeitet habe. Das war für mich sehr lehrreich. Ich würde so gar so weit gehen zu behaupten, dass ich in dieser Zeit im Kollektiv in der Künstlergruppe – wir fingen mit acht Künstlern an und es wurden immer mehr – über künstlerische Prozesse mehr gelernt habe als letztendlich an der Regieschule. Die Verbindung zur Bildenden Kunst war zumindest für die Art, auf die ich jetzt arbeite, sehr wertvoll. Es war entscheidend, dort bestimmte Sachen zu lernen und bestimmte Fehler zu machen. Ich habe ein Konzept im Kopf, wo ich hin will, aber ich entwerfe z. B. nichts auf dem Reißbrett.

Das finde ich auch fürchterlich langweilig. Auf die Reise zu gehen und dabei Dinge zu entdecken, ist viel spannender.
Absolut. Und wenn man sich selbst langweilt, wie sollten dann die Leute, die es hinterher angucken müssen, nicht gelangweilt sein?

Angela Richter

Sie haben früher freie Projekte gemacht. Jetzt sind Sie im etablierten Kulturbetrieb angekommen. Welche Unterschiede gibt es bei der Arbeit?
Bei mir zum Glück keine großen, abgesehen davon, dass es die „Off-Schere“ nicht mehr gibt. Ich schätze die Freiheit, die man beim freien Theater hat, und habe mich auf Kampnagel oder im HAU sehr wohl gefühlt. Mit Intendanten wie Matthias Lilienthal und Amelie Deuflhard, denen ich beiden sehr viel zu verdanken habe. Aber natürlich sind die Mittel begrenzt und man ist extrem abgestresst, weil man einfach nichts finanziert bekommt. Noch nicht einmal ein anständiges Gehalt für die Leute, die mitmachen. Irgendwann ist das erschöpfend und man denkt: „Jetzt kann ich nicht mehr.“ Für mich war es vor allem eine Erleichterung, dass mir Stefan Bachmann, der Intendant am Schauspiel Köln, jegliche künstlerische Freiheiten gelassen hat, nur unter viel besseren Bedingungen. Ich beute hier nicht mich selbst oder die anderen, die dabei sind, aus. Es ist vielmehr eine freiwillige Selbstausbeutungsbasis. Ich kann auch bestimmte Sachen machen, die ich vorher nicht hätte machen können. Der 13 Jahre lange steinige OffTheater-Weg war aber wichtig, um die Form zu finden, die nicht vom Geld abhängig sein darf.

Erfrischenderweise ist das Regiefach am Theater keine Männerdomäne mehr.
Ich finde es auch super, dass immer mehr Frauen als Regisseurinnen arbeiten, und ich glaube auch, dass Frauen sehr geeignet sind für den Regieberuf, so wie er heute begriffen wird. Wo nicht der zauselige alte Tyrann sitzt – denn das sehen die Schauspieler von heute auch nicht mehr ein. Es gibt immer weniger Bedarf an Regisseuren mit einem „faschistischen Charakter“, die einen psychisch fertig machen. Man geht also mit anderen Fähig – keiten in den Beruf, mit sozialen Skills, und kommt trotzdem ans Ziel. Das können Frauen eh ganz gut. Wir mussten es zwangsläufig lernen.

Kommunikationsfähigkeit ist eine Stärke.
Heute ist es im Regieberuf ein Vorteil, eine Frau zu sein. Die interessantesten neuen Regisseure sind Frauen.

Ich sehe das genauso. Wie kam eigentlich bei „Supernerds“ die Kooperation mit dem Westdeutschen Rundfunk zustande?
Der WDR hatte den Wunsch, mal etwas gemeinsam mit dem Kölner Schauspielhaus zu machen. Von Stefan Bachmann kam die Idee, mich dafür vorzuschlagen, weil es bei meinem Projekt eine interdisziplinäre Chance gab und es am Geeignetsten schien. Ich bin sehr froh darüber, denn ich selbst hätte den WDR nicht angesprochen. Relativ schnell wurde nach diesem ersten Anstoß klar, dass der WDR zu sehr vielen Experimenten bereit war. Ich hatte zusammen mit dem berühmten Hacker und Journalisten Jacob Applebaum die Idee, dass wir uns in die Leute, die ins Theater kommen „reinhacken“, um denen begreiflich zu machen, wie leicht das eigentlich ist; und Leuten z. B. ein Dossier in die Hand zu drücken, das man aufgrund weniger Daten zusammengestellt hat. Bei der Realisierung dieses „Suddenlife Gamings“ bekamen wir Unterstützung von einer Produktionsfirma, den gebruedern beetz. Innerhalb eines Jahres haben wir das Ganze so konzipiert.

Gibt es für Sie in der Kunst Grenzen?
Thematische und experimentelle nicht. Moralische natürlich. Gegen Menschen oder Tiere sollte es nicht gehen. Ich würde kein Kaninchen auf der Bühne schlachten.

Angela Richter
“Event ist mittlerweile ein so wahnsinnig negativ belegter Begriff, der nicht mehr unschuldig daher kommt”. Angela Richter (Bild: Hilmar B. Traeger)

Hermann Nitschs Mysterien- und Orgientheater ist also nicht Ihr Ding?
Nein, das ist vorbei. Ich glaube auch, dass das heute nicht mehr schockt. Man muss ja nur einmal in eine Massenmastanstalt gehen. Das sind dann schon die größeren „Kunstwerke“, um einen zu schocken. Oder?

Ergibt sich eine weitere Zusammenarbeit mit dem WDR?
Mal schauen, das kann man nicht mit jedem Stück machen. Ich hatte die schlimmsten Befürchtungen, dass das auch ganz schön in die Hose gehen kann. Ich hätte mir gar nicht ausdenken können, dass es so gut laufen würde zwischen uns allen. Das gegenseitige Vertrauen war sehr groß. Wir werden uns auf jeden Fall noch einmal zur Nachbearbeitung treffen. Und vielleicht machen wir wieder etwas zusammen.

In Berlin ist der Streit um den Begriff Event entbrannt. Ist für Sie „Eventkultur“ auch ein Schimpfwort?
Ja, als Begriff schon. Unser Abend sollte kurzzeitig – ich weiß gar nicht, wer das vorgeschlagen hatte – „Ein Überwachungsevent“ heißen. Da habe ich mich dagegen gestellt. Es ist mittlerweile so ein wahnsinnig negativ belegter Begriff, der nicht mehr unschuldig daherkommt. „Event“ hört sich nach „Alster-Vergnügen“ oder so merkwürdigen Veranstaltungen an, die sehr viel kommerzieller sind als das, was man selbst macht. Ich verstehe die Abneigung dagegen, aber gleichzeitig bin ich superneugierig darauf, dass in Berlin jetzt etwas völlig anderes passieren soll. Das Theater von Castorf und die Volksbühne schätze ich nach wie vor. Um ihn und seine Leute muss man sich, denke ich, keine Sorgen machen. Die werden schon irgendwo unterkommen. Vielleicht ist es für Castorf ja auch ein bisschen erfrischend, einmal aus der Komfortzone herauszukommen. Ich hätte es viel enttäuschender gefunden, wenn die Volksbühne irgendein Regiekollege übernommen hätte. Einer von den üblichen Verdächtigen aus dem sogenannten Intendantenkarussell, wo man zwei oder vier Jahre da ist und dann ins nächste Boot hopst. Teilweise sind es tolle Sachen, teilweise gleichen sich deren Programme auch sehr.

Sehr viel Selbstbespiegelung der „Generation Golf“ und der „Generation Y“. Sie greifen als Regisseurin ja ganz andere Themen auf, nicht die üblichen Zweierkisten oder die Verzweiflung mit 30 Jahren.
Bürgerliche „First World Problems“ oder Paar-Geschichten haben mich nie interessiert! Schon bei klassischen Stücken habe ich damit Probleme. Es gibt „Romeo und Julia“, das reicht zu dem Thema. Danach kann es nur noch kleiner werden.

Vielen Dank für das Gespräch. 

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