Nachwuchs im Blick

Indoor Analytics für Messen – noch viel Potenzial!

Die meisten Messegesellschaften scheinen das Potenzial von Big Data bisher nicht erkannt zu haben. Welche Möglichkeiten Messen in dieser Hinsicht mit Hilfe von Indoor Analytics haben, hat die duale Studentin Sofia Zindler 2019 in ihrer Bachelorarbeit dargelegt. Lesen Sie hier die zentralen Ergebnisse.

Waytation(Bild: Sebastian Freiler)

[Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel stammt von Januar 2020]

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Der digitale Wandel, die digitale Transformation und die Digitalisierung sind in unserer Wirtschaft längst keine leeren Worthülsen mehr. Vielmehr stellen sie aktuell die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen auf sich verändernde Rahmenbedingungen auf die Probe und beeinflussen damit die Wettbewerbsfähigkeit in Zukunft immer mehr. Im Rahmen dieser Anpassungsfähigkeit spielen neue digitale Geschäftsmodelle durch digitale Technologien eine relevante Rolle. Mithilfe dieser digitalen Technologien können Unternehmen Daten von „Big Data“ zu „Smart Data“, also nützlichem Wissen verarbeiten (vgl. Bartlett-Mattis, 2018, o.S.).

Auch die Messewirtschaft spürt die sich durch die Digitalisierung verändernden Rahmenbedingungen innerhalb der Wirtschaft deutlich: Denn laut der in 2018 veröffentlichten AUMA Bilanz des Jahres 2017 investieren die deutschen Messegesellschaften gegenwärtig vermehrt in digitale Angebote und in die digitale Infrastruktur ihrer Gelände. Auch die digitale Vernetzung von Ausstellern und Besuchern und die Vereinfachung und Beschleunigung von Geschäfts- und Informationsprozessen wird immer wichtiger. In Zukunft sollten Messegesellschaften in diesen Bereichen weiterhin Qualifikationen etwa durch den Einsatz von neuen Technologien aufbauen, um ihren eigenen Fortschritt vorantreiben zu können.


Übersicht

Indoor Analytics

Use Case 1

Use Case 2

Use Case 3

Ergebnisse und Implikationen für die Messewirtschaft

Schlussbemerkung

Bewertung der Professur

Über die Autorin


Indoor Analytics

Zu diesen neuen Technologien gehören auch die der Indoor Analytics. An einem geschäftigen Messetag können mithilfe von Indoor Analytics Daten wie Sand am Meer gesammelt, erfasst, verarbeitet und analysiert werden. Dass dieses Thema bereits in der Praxis angekommen ist, zeigt sich durch ein Ende März 2019 erstmals vom AUMA organisiertes Fachforum, das speziell das Thema „Besuchertracking“ in den Fokus stellte. Dazu kamen mehr als 40 Vertreter von Messeveranstaltern.

Wie die durch digitale Technologien erhobenen Daten von Messegesellschaften richtig ausgewertet und so genutzt werden können, sodass ein Mehrwert entsteht, wird in drei Anwendungsszenarien oder „Use Cases“ dargestellt.

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Echtzeit-Analyse-Software des Tracking-Start-ups Waytation
Echtzeit-Analyse-Software des Tracking-Start-ups Waytation (Bild: Waytation)

Definition: Indoor Analytics, Indoor Digitalisierung und Indoor Navigation

Indoor Analytics

ermöglicht intelligente Datenerfassung und -auswertungen in Innenräumen in Form von Personen- oder Sachbewegungsnachverfolgungen durch spezielle Ortungstechnologien, wie z.B. WLAN, Bluetooth Low Energy, Visible Light Communication, Radio-Frequency Identification, Ultra-Wideband, Kamerasysteme oder 3D-Sensoren, die das Indoor Positioning System (IPS) bilden, und stellt die erhobenen Daten mithilfe von Analyse-Software visuell in Form von Diagrammen und Heatmaps dar, um als Grundlage für unternehmerische Entscheidungen herangezogen zu werden.

Indoor Digitalisierung

ist die digitale Erfassung von Innenräumen und bildet den ersten Grundlagenschritt für jedes weitere Indoor Lokalisierungsprojekt. Dafür wird ein Innenraum durch ein mobiles Messgerät fotografisch vermessen und digitalisiert, sodass ein „digitaler Zwilling“ erzeugt und angezeigt werden kann.

Indoor Navigation

beschreibt die Navigation in Gebäuden mittels einer App auf einem Smartphone oder anderen Device durch präzise Richtungsanweisungen

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Use Case 1: Indoor Navigation für Messebesucher

Mithilfe von Indoor Analytics können Messegesellschaften Besuchern den kostenfreien Service der Indoor Navigation zur Optimierung des Messebesuches zu Verfügung stellen. Durch eine zuvor stattgefundene Digitalisierung der Messehallen können digitale Karten der Hallen mit einer App verbunden werden, die die Besucher zuverlässig durch die Messehallen an ihr gewünschtes Ziel leitet. So kann der Messebesuch beispielsweise hinsichtlich Terminvereinbarungen mit Ausstellern genauer geplant werden, da Dauer und Route des zurückzulegenden Weges zwischen zwei Ausstellern im Vorhinein genau in Erfahrung gebracht werden können.

Für die Messegesellschaft kann die Einführung ein strategisches Mittel zur Positionierung als „digitale Messegesellschaft“ sein, und eine Antwort auf die Bedürfnisbefriedigung der Zielgruppe Besucher in der digitalen Welt darstellen. Denn der Besucher und seine Verhaltensweisen haben sich innerhalb der letzten Jahre deutlich verändert, was sich in einer gesteigerten Erwartungshaltung widerspiegelt.

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Use Case 2: Besuchertracking als digitale Zusatzleistung für Aussteller

Durch Indoor Analytics im Rahmen von Besuchertracking und Laufweganalysen können Informationen erfasst und als analysierbare Daten aufbereitet werden, die vor allem für Aussteller von großem Interesse sein dürften – aktuell aber noch nicht verfügbar sind. Mithilfe von Indoor Analytics kann ein Aussteller bereits während der Messe tagesaktuelle Analysen der Besucherbewegungen auf seinem Stand nutzen. Dadurch können nicht erst im Nachhinein, sondern auch in Echtzeit die Daten genutzt werden, um Anpassungen in der Performance vorzunehmen und Entscheidungen für die Optimierung der Messebeteiligung zu treffen. So können durch die Messung von genauer Verweildauer und Verweilort der Besucher am Stand und der Auswertung in „Heatmaps“ Top-Anlaufpunkte, wie Produktinszenierungen oder Exponate, identifiziert werden.

Neben den Vorteilen für Aussteller ergibt sich darüber hinaus auch für Messegesellschaften ein Mehrwertzuwachs. Denn diese haben die Datenhoheit über die erhobenen Besucherdaten – was in Zeiten, in denen durch digitale und datengestützte Geschäftsmodelle Wettbewerbsvorteile generiert werden, von hoher Relevanz ist. Durch die Möglichkeit zur Monetarisierung der erhobenen Daten als Digitalservice und in Verbindung mit Location-based Services (LBS) oder Location-based Advertising (LBA) können weiterhin wirtschaftliche Ziele verfolgt werden. Außerdem gewinnt eine Messegesellschaft so einen Überblick über die Besucherverteilung in ihren Messehallen und hat die Möglichkeit, Entscheidungen für eine bessere Wegeführung zu treffen oder frühzeitig Sicherheitsrisiken zu erkennen, die durch zu viele Personen an einer bestimmten Stelle entstehen können.

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Waytation(Bild: Sebastian Freiler)

Use Case 3: Frequenzorientiertes Preismodell für Standflächen

Durch den Einsatz von Indoor Analytics kann das ausstellerbezogene Pricing, bezogen auf die Standflächenpreise pro Quadratmeter, durch Besucherstrommessungen hin zu einer dynamischen frequenzorientierten Preisgestaltung verändert werden.

Durch die Identifikation von Laufwegen, die von den Besuchern vermehrt oder weniger stark genutzt werden, ergibt sich eine unterschiedliche Besucherfrequenz für Stände. Dadurch kann eine Preisstaffelung von höheren Preisen für hochfrequentierte Standplätze, niedrigeren Preisen für niedrigfrequentierte Plätze und ein Durchschnittspreis für solche, die einer normalen bzw. durchschnittlichen Besucherfrequenz zugeordnet werden können, eingeführt werden. Dafür müssten Messeveranstalter ihre bisherige Standpreiskalkulation überdenken und sich in Zukunft auf eine innovative dynamischere Preisstrategie einlassen, die einige Vorteile mit sich bringen kann. Dazu zählt die systematische Abschöpfung der Konsumentenrente, einer Ertragssteigerung sowie einer erhöhten Kundenzufriedenheit und Erfolgswahrscheinlichkeit des Messeauftritts der Aussteller (vgl. Holzner, 2017, S. 709 ff.). Denn Aussteller hätten die Entscheidungsfreiheit, einen Standplatz nach der voraussichtlichen Besucherfrequenz zu wählen. Dies kann hinsichtlich finanzieller oder strategischer Ausrichtungen der Unternehmen durchaus relevant sein.

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Ergebnisse und Implikationen für die Messewirtschaft

Die beschriebenen Use Cases wurden mithilfe einer Online-Befragung bei Messegesellschaften in Deutschland sowie drei Experteninterviews einer Bewertung unterzogen. Die Ergebnisse der Use-Case-Bewertungen haben gezeigt, dass Indoor Analytics bei Messegesellschaften prinzipiell in vielerlei Hinsicht angewendet werden können. Jedoch hat es sich auch herausgestellt, dass die Unterschiede in den Erfahrungsberichten und Kenntnisständen groß sind.

Als erste Implikation kann festgehalten werden, dass Messegesellschaften, die sich bisher noch wenig mit ihren digitalen Kompetenzen auseinandergesetzt haben, zunächst die Möglichkeit nutzen sollten, Daten auf einfache Art und Weise zu erheben und zu analysieren, noch ohne in Indoor Analytics Anwendungen zu investieren. Dies ist beispielsweise durch die Einforderung einiger Besucherdaten für die Nutzung des Besucher-WLANs möglich.

Mit steigenden Erfahrungswerten, Kapazitäten und Fähigkeiten können Messegesellschaften im Rahmen einer weiteren Handlungsempfehlung die Indoor Navigation einführen. Damit berücksichtigen Messegesellschaften die Relevanz des Besuchers für den Erfolg einer Messe. Die junge Generation als Messebesucher besitzt und erwartet digitale Kompetenzen und zeichnet sich gleichzeitig als dankbare Zielgruppe aus.

Das Besuchertracking in Form von Use Case 2 gilt ebenfalls als empfehlenswert. Hier ist für alle drei Akteure – Veranstalter, Aussteller und Besucher – ein Mehrwert mit starker Zukunftsorientierung gegeben. Die Anwendung wurde darüber hinaus von den befragten Messegesellschaften und Experten positiv bewertet. Einige Messegesellschaften testeten das Besuchertracking bereits in der Praxis. In Bezug auf die Wettbewerbsvorteile durch Big Data ist diese zweite Anwendung für den Aufbau digitaler Geschäftsmodelle für Messen sehr geeignet.

Der dritte Use Case wird von den befragten Messegesellschaften und Experten sehr kritisch betrachtet. Die Unsicherheit ist zu groß, die Zukunftsfähigkeit wird als zu gering eingeschätzt und die Akzeptanz der Aussteller ist noch ungewiss. Messegesellschaften, die an dieser Art der Preisgestaltung dennoch interessiert sind, sollten zunächst eine Ausstellerbefragung durchführen, um in Erfahrung zu bringen, ob die Einführung eines frequenzorientierten Preismodells von den Ausstellern akzeptiert oder sogar gewünscht wird. Denn die Aussteller spielen neben den Besuchern und dem Veranstalter eine ausschlaggebende Rolle beim Erfolg einer Messe. Sollte die empfohlene Marktforschung ein positives Ergebnis zur Ausstellerakzeptanz ergeben, könnte eine frequenzorientierte Preisgestaltung für einen wirtschaftlichen Gewinn seitens der Messegesellschaft und für die Zufriedenheit der Aussteller sorgen.

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Waytation(Bild: Sebastian Freiler)

Schlussbemerkung

Indoor Analytics als eine Ausprägung unserer digitalen Welt eher passiv mitzuerleben, stellt für Messegesellschaften als etablierte Marktteilnehmer keine zeitgemäße Handlungsweise dar. Vielmehr heißt es, sich neu zu positionieren und für sich selbst, wie auch für die Zielgruppen Aussteller und Besucher, durch den Einsatz von Indoor Analytics einen Mehrwert zu schaffen, der im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit ausschlaggebend sein kann.

Es ist davon auszugehen, dass die ersten Ansätze einiger weniger Messegesellschaften zukünftig weiter vorangetrieben werden, wodurch sich ein Umschwung in der gesamten Messebranche auftut. Der Druck „mitzuziehen“ und die Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen der von Besuchern und Ausstellern gestellten Erwartungen aufrechtzuerhalten, wird auch „Zweifler“ mithilfe des Einsatzes von Indoor Analytics in die datengestützte Zukunft führen.

In der digitalen Welt hat sich ein gewaltiger Wandel hinsichtlich des wichtigsten Wirtschaftsgutes aufgetan: „The world’s most valuable resource is no longer oil, but data“ – und welche Messegesellschaft wird sich davor verschließen wollen, angesichts der Tatsache, dass auch sie direkt an einer der Quellen dieser wertvollsten Ressource von heute sitzt?

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Bewertung der Professur:

„Noch viel Potenzial“ – das macht deutlich, dass Sofia Zindler mit ihrer Bachelor-Thesis eine Tür weit aufgestoßen hat. Bereits bekannt sind die Zutaten, mit denen sie gearbeitet hat: digitale Transformation als Mega-Trend, Big Data sowie mobile und Navigationstechnologie. Gerade deshalb ist es ein besonderer Verdienst der jungen Branchenexpertin, daraus eine neue hochwertige Komposition erstellt zu haben. Wer einen Blick durch diese Tür wagt, sieht eine Zukunft, über die nachgedacht und diskutiert werden muss; eine ordentliche Dosis Inspiration für die Weiterentwicklung digitaler Geschäftsmodelle und neuer Ansätze in der Bewertung von Veranstaltungsfläche.

Prof. Stefan Luppold und Prof. Dr. Bernd Radtke von der DHBW (Duale Hochschule Baden-Württemberg) Ravensburg

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Über die Autorin:

Sofia Zindler
Sofia Zindler (Bild: Sofia Zindler)

Sofia Zindler (24 Jahre), geboren und aufgewachsen in Konstanz am Bodensee, erwarb 2019 den Bachelor of Arts für Betriebswirtschaftslehre mit Vertiefung im Bereich Messe-, Kongress- und Eventmanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Aktuell ist sie im Team des Auslands- und Auftragsgeschäfts der Hamburg Messe und Congress GmbH angestellt, wo sie bereits seit 2016 als duale Studentin in unterschiedliche Abteilungen praktische Erfahrungen in der MICE-Branche sammelte.

Mit großem Interesse beobachtete sie das allseits viel diskutierte Thema der Digitalisierung und der digitalen Transformation in Unternehmen und in Messegesellschaften im Speziellen. Gepaart mit einer persönlichen Technik-Affinität brachte dies sie auf den konkreten Forschungsfall des Einsatzes von Indoor Analytics bei Messegesellschaften in Deutschland, über den sie ihre Bachelorarbeit schrieb. Diese wurde vom FAMA, Fachverband Messen und Ausstellungen e.V., mit dem Messe-Impuls-Preis 2019 ausgezeichnet.

Ab Sommer 2020 ist sie auf der Suche nach einer weiterführenden spannenden Tätigkeit und ist offen für Kontaktanfragen.

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Hinweis der Redaktion

Der Artikel basiert auf Literatur und Quellen, die in der vollständigen Bachelorthesis einzusehen sind und deren explizite Nennung für die Veröffentlichung im Magazin und der online Plattform www.event-partner.de vernachlässigt wurde.


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