Kontroverser Kommentar von wolf one

„Live“ – im Leben danach

War’s das? Viele Online-Konferenzen, ein paar Podiumsdiskussionen, wenige Produktvorstellungen – und die digitale Live-Kommunikation hat sich erledigt?

Eva Wolf
Eva Wolf (Bild: Manuela Zander / wolf one GmbH)

[Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel stammt von Mai 2021]

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Ernüchterung machte sich bereits nach den ersten Online-Veranstaltungen breit. Schnell wurde daraus Ermüdung (auch bei Nicht-Infizierten). Und spätestens mit dem zweiten landesweiten Lockdown zum Jahreswechsel kam der Frust. „Online-Veranstaltungen sind einfach kein Ersatz. Die Leute wollen sich wieder sehen.“ Erste Unternehmen planen bereits ganz konventionell für 2022 oder gar erst 2023. Ohne digitale Begleitung. Ohne web-basierte Alternativen. Für eine Welt ohne COVID-19. „Live“ – wie man es kennt.

Richtig und falsch

Richtig ist: Online-Veranstaltungen sind kein Ersatz. „Die Leute“ wollen sich wieder begegnen. Sie wollen das Erlebnis in der Gruppe. Nach der langen Durststrecke ist ein Boom konventioneller Veranstaltungen zu erwarten – und aus Sicht der Agenturen zu erhoffen. Aber wann wird das sein?

Falsch ist: Es wird ein Leben ohne „COVID“ nicht mehr geben. Zum einen steckt es in den Köpfen. Nach der ersten Euphorie werden Eingeladene in Zukunft zweimal überlegen, ob sie teilnehmen. Das Reisen, das Risiko, der Zeitaufwand, vielleicht auch: der ökologische Aspekt. Muss das sein? Lohnt es sich? Wir wissen doch, es gibt Alternativen.

Zum anderen werden in dieser immer kleiner werdenden Welt auch in Zukunft Ereignisse eintreten, die die globale Mobilität unterbrechen. Seien es epidemische, (geo-)politische oder andere unvorhersehbare Vorkommnisse. Reisen und Versammeln wird immer mal wieder für einige oder alle unmöglich.

Live-Kommunikation wird auch weiterhin kontaktlose oder auf persönliche Distanz basierende Alternativen anbieten müssen. Warum also die gemachten Erfahrungen verdrängen und so tun, als sei nichts gewesen?

Content is King – und viele Fragen offen

Wir fangen doch gerade erst an, Online-Formate als Mittel der Live-Kommunikation zu verstehen. Wir kennen die Regeln noch gar nicht genau, nach denen sie funktionieren. Wir sind quasi am Ende der Stummfilm-Ära. Wir haben Ton. Aber was machen wir damit? (Und für die Auftraggeber: Was genau haben wir zu sagen?)

Content ist online noch wichtiger. Dramaturgie und Inszenierung müssen sich noch schärfer daran orientieren. Die Taktung der Inhalte ist ungleich schneller. Online gibt es keine Pausen, kein Buffet und Kaffeepläuschchen, keine Transfers, kein „Du auch hier!“ in der Hotellobby, kein „Ah!“ und „Oh!“ beim Betreten des Zimmers oder der Location.

Wissen wir alles. Was wir noch nicht wirklich wissen: Wie macht man aus vereinzelten Bildschirmnutzern ein Publikum? Wie hält man die Aufmerksamkeit bei einer Aufmerksamkeitsspanne von max. 15 Sekunden? Wie baut man Spannung auf, wenn die Gäste sie nicht im Raum spüren? Wie kann die Kamera das Auge ersetzen, das bei konventionellen Veranstaltungen mit dem ständigen Wechsel zwischen Peripherie und Fokus, zwischen Nah- und Weitsicht, Hell und Dunkel die Teilnehmenden konstant beschäftigt und involviert? Wie erzeugt man Atmosphäre ohne Einfluss auf die Nebengeräusche – Musik, die nicht „gespürt“ werden kann, da sie aus zwei kleinen Computerlautsprechern kommt? Spontanität bei der notwendigen sekundengenauen Vorplanung? Und vor allem: Wie vermittelt man Wertschätzung ohne Applaus?


„Abwarten, bis alles vorbei ist? Und dann weitermachen wie zuvor?“


Nichts geht über ausprobieren

Eine rundum gelungene Online-Veranstaltung haben wir noch nicht erlebt. Es gab gute Ansätze, auf die man aufbauen kann. Wir haben Ideen – andere auch. Die müsste man ausprobieren. Ob sie funktionieren, lässt sich nicht am Schreibtisch entscheiden. Dazu müssen wir weiter machen. Und das können wir nur mit den Kunden.

Abwarten, bis alles vorbei ist? Und dann weitermachen wie zuvor? Man kann doch nicht bei jeder Ebbe die Dämme abtragen. Denn eins ist sicher: Die nächste Welle kommt bestimmt. (Es muss kein COVID-19 sein!) Und die überstehen auch die letzten Agenturen nicht. Wenn wir jetzt nicht aus den Erfahrungen lernen, dann war’s das.

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Hallo,
    im Rahmen meiner Bachelor-Arbeit gestalte ich Live-Interaktionen zwischen Online-Audience und Onsight-Publikum bei Konzertveranstaltungen.
    Konzeptionell geht es um Mitbestimmung des Narrativs durch Streaming-TeilnehmerInnen.

    Wer interessiert ist und sich vernetzen möchte, kann gerne an j.sengstake@hfk-bremen.de eine Mail schreiben.
    Bin Freelance Media-Operator, Light Operator, 3D Designer und Kunststudent Richtung Digitale Medien.

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