Das Leben ist eine Schaustelle

Greenaway & Boddeke Installation „Gehorsam“ im Jüdischen Museum Berlin

Im Jüdischen Museum Berlin hat der Ausnahmekünstler Peter Greenaway zusammen mit seiner Frau, der Theaterregisseurin Saskia Boddeke, mit der Installation „Gehorsam“ Wunderkammern der Menschheit eingerichtet. Das Echo ist entsprechend.

Gleich zu Beginn der Ausstellung oder Installation, die auf die übliche Museumspädagogik und modische Interaktivität per Touchscreen verzichtet und voll auf Sinneskraft und Bilder setzt, begegnet man der biblischen, alttestamentarischen Familie dreier Weltreligionen. Abraham, Sarah und ihr Sohn Isaak werden vorgestellt. Damit ist das Drama um Gehorsam und Entscheidungsfreiheit eingeführt.

Anzeige

Am Start der Ausstellung zeigt die große Video-Installation „I am Isaac / I am Ismael“ den Ausgangspunkt des Konfliktes, den Erstgeborenen Ismael und den sehnsüchtig erwarteten Isaak. Es geht der Niederländerin und dem englischen Gentleman um das Kind und weniger um Abrahams Blick. Kinder und Jugendliche waren im Vorfeld der Ausstellung aufgerufen, sich als Isaak oder Ismael zu identifizieren. Sie bilden für die Künstler nicht nur einen wichtigen Auftakt zur Ausstellung, sondern den Kern. Diese Kinder klagen stellvertretend für alle Kinder ein Recht auf den Schutz ihres Lebens ein. Dieses Motiv mäandert gleich durch mehrere Installationen. Eine Fotogalerie mit Bildern von Vätern oder Müttern mit ihren Kindern nimmt das Verhältnis von Autorität und Schutzbefohlenen auf. Einen dramatischen Höhepunkt bildet im Raum „Sacrifice“ die größte Filminstallation als Triptychon, die das Isaak-Opfer mit Szenen von Kindern in aktuellen Krisen- und Kriegsgebieten verkettet.

Der Film ist ein erwartet starkes Mittel

Das in Amsterdam lebende Künstlerpaar löst die biblische Geschichte aus ihrem gewohnt bekannten Zusammenhang und rangiert sie durch die Betonung herausragender visueller Fragmente neu ein. Legenden und Rituale in Judentum, Christentum und Islam sind quasi die Leinwand, auf der sie arbeiten. Boddeke und Greenaway variieren das Thema als eine große, sinnliche, mehrmediale Installation auf einer Ausstellungsfläche von knapp 1.000 m2.

Luca D’Alberto hat den Soundtrack komponiert. Der rote Faden sind die 15 Filmsequenzen als visueller tänzerischer Kommentar, der das dramatische Geschehen vorantreibt. Dazu zählen eine Serie von Vater und Sohn auf dem Wege, Langzeitaufnahmen der legendären Tatorte des Geschehens oder die Opfererzählung selbst, getanzt von der israelischen Gruppe Club Guy & Roni aus Groningen. Die Filme haben quasi eine kalligraphische Textspur aus Zitaten aus den jüdischen und islamischen Legenden, die durch die Ausstellung leitet.

15 Thesen in 15 Räumen für den Gehorsam

Die Ausstellung ist – erwartungsgemäß – sehr szenisch angelegt, die einzelnen Rauminstallationen führen die Besucher durch die biblische Geschichte. Die Rituale und Legenden rund um die Erzählung werden auch anhand kostbarer Objekte und Arbeiten zeitgenössischer Künstler vorgestellt. So rückt in dem als Pracht- und Schatzkammer gestalteten „Golden Room“ der literarische Text in den Mittelpunkt. Präsentiert werden eine hebräische und eine lateinische Bibel, eine Koranschrift und andere wertvolle Manuskripte. Es folgt ein gefederter weißer Raum zum Thema Gott und Engel, ein tiefdunkler schwarzer Raum, inspiriert durch das muslimische Ritual der Steinigung des Satans während der Wallfahrt nach Mekka, der Abraham zum Ungehorsam gegen Gott anstiftet.

Sarah und Hagar, den beiden Müttern, geben die Künstler einen eigenen Ort. Eine Deckeninstallation mit tropfenden Wasserflaschen greift die Errettung Hagars und ihres Sohnes Ismael vor dem Verdursten in der Wüste auf und zitiert das heilige Wasser „Zamzam“, das während der Wallfahrt getrunken gehört. Der „Widder-Raum“ mit Damien Hirsts „Black Sheep with Golden Horns“ von 2009 ist für das Ersatzopfer von Abrahams Söhnen gereicht. Diesem folgt der mit duftender Schafswolle ausgelegte Raum „Agnus Dei“, des Lamm Gottes. Der Geruch ist Teil der multisensorischen Erlebnisqualität der Ausstellung. So geht man zum Teil barfuß auf rundgewaschenen Kieseln und auf der geschorenen Wolle. Das Opfer zeigt sich in der Realität der Klingen und Kindersoldatenopfer. Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Malala Yousafzai führt die ewigen Opfer eines einzigen, vom Zorn geleiteten Gottesdienstes an. Wer ist ein Abraham, wer Isaac oder Ismael?

In der Eröffnungspressekonferenz erläutert Greenaway in seiner sonoren, tiefen Stimmlichkeit, dass das Träumen vor dem Denken das eigentliche große Vergnügen sei. Saskia Boddeke sieht auf unsere Nachfrage keinen Unterschied zwischen Performativem bzw. dem Film und einer Installation: „Zumal Tänzer und Schauspieler in den Videos inszeniert werden. Es ist aber auch der ganz besondere Moment, wenn lebendige Bilder und dingliche Objekte zusammenkommen.“

Peter Greenaway war vor kurzem schon auf der Berlinale in der deutschen Hauptstadt wieder einmal aufgefallen. Er präsentierte seinen neuesten Film „Eisenstein in Guanajuato“. Die Ausstellung im jüdischen Museum hat den einfachen Titel „Gehorsam“ und ist noch bis zum 13. September 2015 zu besichtigen. Was alle die tun sollten, die beruflich mit der Inszenierung von Themen und Räumen zu tun haben.

Kommentare zu diesem Artikel

Pingbacks

  1. Wunder gibt es immer wieder! › Production Partner
  2. Wunder gibt es immer wieder! › Event Partner

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.