Nie war es so wertvoll wie heute

ADC Festival 2015: Ein Kommentar von Annette Beyer

Annette Beyer, freie Konzeptionerin und Gründerin von treibhaus 0.8, kommentiert das ADC Festival und bezeichnet den Wettbewerb als Inspirationsquelle für kreative Live-Kommunikation. 

Ausstellung beim ADC Festival 2015
Eine Fotoausstellung am dritten Tag des ADC Festivals. (Bild: Alexander Koerner)

Ich bilde den Kreativnachwuchs der deutschen Live-Kommunikation aus. Mit 15 jungen Konzeptionern war ich beim ADC Festival in Hamburg. Drei Tage, das volle Programm. Die Ausstellung, der Nachwuchskongress, die Award Show – unsere jungen Live-Konzeptioner fühlten sich wohl wie die Fischlein im Werber-Pool.

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St. Pauli pinkelt zurück und der „Siegerflieger“ wackelt mit den Flügeln

Die Ausstellung war wieder ein Mekka für LiveIdeen: In der Kategorie „Out-of-Home“ staunten wir über sprechende Plakate, die auf der Reeperbahn Mädels anbaggern. Astra. Oder, ganz im Gegenteil, einfach abhauen, wenn man näher kommt. Mercedes-Benz. In der Abteilung „Branded Content“ zerdrückten wir ein Tränchen mit Hebamme Ursula, die zu Weih – nachten von ihren 10.000 Kindern besucht wurde. Coca-Cola. Wir grinsten hämisch über die im wahrsten Sinne „angepissten“ Wildpinkler einer Ausgehmeile. Mittels eines extrem wasserabweisenden Spezialanstrichs pinkelt St. Pauli jetzt zurück. Wir lernten, dass der „Siegerflieger“ der „Fanhansa“, der unsere Jungs aus Rio nach Hause brachte, die effizienteste aller PR-Kampagnen war. Der Aufkleber kostete 3.500 Euro und brachte der Lufthansa 100 Millionen Kontakte – und die Herzen der Menschen auf der Berliner Fanmeile. Den „Willkommens-Drucker“ bei Lufthansa, mit dem man beim Warten am Gate ein Schildchen für seine Liebsten selbst gestalten und ausdrucken kann, fanden wir auch irgendwie bestechend. Man findet sowas in der Kategorie „Real Time Advertising“. Und ja, einige Bürger machten wohl wirklich „was gegen hässlich“ in den Schmuddelecken ihrer Stadt. Natürlich von Hornbach initiiert, gesponsert und im Video schön emotionalisiert. Ein treffendes Beispiel für das neue Kommunikations-Zauberwort Relevanz.

Live-Kommunikation – vom Mauerblümchen zur bewunderten Rose

Als ich vor sieben Jahren erstmals mit einer Gruppe beim ADC war, fremdelten unsere Agentur-Volontäre merklich zwischen spektakulären TV-Spots und obercoolen Print-Motiven. Schon irgendwie toll – aber was hat das mit unserem Job in der Eventagentur zu tun? Die Event-Einreichungen wirkten vergleichsweise bieder und bekamen kaum Nägel. Und wenn sie mal einen kriegten, klatschte keiner, weil sich die Branchenkollegen die teuren Tickets für die Award Show nicht leisten wollten. Kurz, die Live-Kommunikation war 2009 noch ein Mauerblümchen. Das änderte sich spätestens 2011 mit der genialen 360- Grad-Kampagne „Meister vs. Meister“ für Mercedes-Benz Transporter. Im Zentrum der Kampagne stand eine Roadshow zu vier Provinzfußballplätzen. Die einfache Idee, legendäre Fußballmeister gegen Handwerksmeister antreten zu lassen, wurde zu Recht mit ADC-Nägeln überschüttet. Der Durchbruch für die Live-Kommunikation! Unsere Disziplin stand erstmals im blendenden Scheinwerferlicht. „Meister vs. Meister“ gehört zum konzeptionell und strategisch saubersten, was ich bisher an vernetzter Live-Kommunikation gesehen habe. Ich zeige das Video jedem neuen Volontärsjahrgang zur Einführung in die Kampagnenkonzeption. Nur sammelte keine Eventagentur die verdienten ADC-Nägel ein, sondern die Klassiker von Scholz & Friends. Von nun an ging’s bergauf. Nirgendwo kann man den Siegeszug der Live-Kommunikation so gut beobachten wie beim Medaillenspiegel in der ADC Award Show. Die prominenten Siegerkampagnen der letzten fünf Jahre sind Multichannel-Arbeiten. Live-Kommunikation ist meist ein zentrales Element, z. B. in der erklärten Lieblingskampagne unseres Branchennachwuchses „All Eyes on S4“. Die ADC-typischen großen Klassikkampagnen gewinnen nichts mehr. Weil es sie kaum noch gibt.

Schon gemerkt? Die CDs der guten Eventagenturen sind längst im ADC

Was haben unsere 15 Jung-Kreativen in der ADC Award Show geklatscht und getrampelt, als verkündet wurde, dass die beiden Über-Oscars 2015 an ihre Disziplin gehen! Die „Lichtgrenze“ und „Rechts gegen Rechts“ stehen nicht nur für eine super Idee, sondern auch für eine starke und richtige Botschaft. Das motiviert. Noch motivierender wäre es, wenn der Live-Kommunikationsnachwuchs auch mal die eigenen Agenturkollegen auf der Bühne bejubeln dürfte. Immerhin lief einigen Volontären ihr Chef über den Weg. Als ADC-Jurymitglied. Fast jede gute deutsche Live-Kommunikationsagentur hat heute einen Creative Director, der auch ADC-Mitglied ist. Für viele unserer CDs ist die engagierte Jury-Diskussion mit den Kollegen anderer Disziplinen hoch inspirierend und ein persönliches Jahreshighlight. Der Nachteil ist bekannt: In letzter Zeit strömen immer mehr ADC-Mitglieder anderer Disziplinen in die Jurys für Event und Kommunikation im Raum. Die Erfahrung lehrt: Je mehr Nicht-Eventler in der Jury, desto geringer die Chance auf einen Nagel für ein klassisches Mitarbeiter- oder Corporate Event. Aber deshalb dauerbeleidigt sein? Event-Kreative, die hauptsächlich Nägel abgreifen wollen, kommen beim ADC noch nicht auf ihre Kosten. Alle anderen schon. Den professionellen Blick über den Tellerrand braucht jeder, der Kommunikation machen will und nicht nur Veranstaltung. Wer’s diesmal verpasst hat, inspiriere sich in der Gewinnergalerie des ADC. Zur kreativen Einstimmung empfiehlt sich die kluge Out-of-Home-Kampagne von Opel: Umparken im Kopf.

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