Interview mit Dr. Katja Lohmann, TU Chemnitz

Besuchertracking auf Messen

„Das Interesse ist spürbar groß“, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Marketing und Handelsbetriebslehre an der TU Chemnitz, Dr. Katja Lohmann. Im Interview mit EVENT PARTNER werden von ihr die aktuellen Ziele und Methoden des Besuchertrackings sowie die Erfahrungen der Forschung für die Messebranche vorgestellt.

Katja Lohmann
Dr. Katja Lohmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Marketing und Handelsbetriebslehre an der TU Chemnitz (Bild: Privat)

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Wie kam es zum Thema „Besuchertracking auf Messen“ und wie lange beschäftigen Sie sich schon damit?

Unter der Leitung von Prof. Dr. Cornelia Zanger ist eines unserer zentralen Forschungsthemen „Event und Messe“. Dabei wurden im Team bereits diverse Forschungsarbeiten angefertigt, Praxisprojekte durchgeführt oder auch Trendberichte zum Thema verfasst. Das Thema Besuchertracking auf Messen bearbeiteten wir erstmals 2015 in einem Laborversuch in den Hallen der Messe Berlin zum „Besucherverhalten am Messestand“. Unterstützt wurden wir von der ITB unter der Leitung von David Ruetz, in Kooperation mit der Professur für Allgemeine und Biopsychologie unter der Leitung von Prof. Dr. Udo Rudolph und der Professur für Organisations- und Wirtschaftspsychologie unter der Leitung von Prof. Dr. Bertolt Meyer der TU Chemnitz. Dank des zunehmenden Interesses der Branche am Besuchertracking haben wir im Zeitverlauf weitere Projekte durchgeführt, die ich direkt oder indirekt begleitet habe. Ziel dabei ist es, das Verhalten der Messebesucher zu erfassen, Erkenntnisse daraus zu ziehen und eine Optimierung zu erreichen.

 

Welche Ziele bzw. Ergebnisse kann Besuchertracking für Messebetreiber und Messebauunternehmen heute erreichen?

Übergreifendes Ziel ist es, einen besseren Einblick in das Messegeschehen sowie die Wirkung des Messestandes zu gewinnen, aus unterschiedlichen Blickwinkeln sind dies z.B.:

  • Erfassen der Besucherfrequenzen am Stand, z.B. wie viele Besucher waren am Stand? Wie viele der Messebesucher, die den Stand passiert haben, haben diesen betreten?
  • Betrachtung der Nutzung der Flächen und des Attraktionspotenzials der präsentierten Exponate und Angebote sowie Optimierungsgedanken für ungenutzte Flächen
  • Datennutzung, um Ressourcen und Personal zu planen und zu koordinieren
  • Kontrolle bewahren und Sicherheitsaspekte für die Zukunft berücksichtigen: Gibt es Bereiche mit zu vielen Personen? Wo entstehen Risiken, die die Sicherheit gefährden?
  • Bessere Evaluationsmöglichkeiten sowohl aus Sicht des Ausstellers als auch des Messeveranstalters als Grundlage für Managemententscheidungen (z.B. Preisstaffelungen für verschiedene Bereiche des Messegeländes)
  • Customer Journey im Gesamten nachvollziehen, d.h. Touch Points auch während der Messe erkennen und verbessern

Entscheidend für die Auswahl einer passenden Tracking-Methode sind eben diese Ziele und die Fragen, welcher Informationsbedarf gedeckt werden soll und welchen Zweck man verfolgt.

Impressionen von der Best of Events 2019
Das Übergreifende Ziel des Besuchertrackings ist es, einen besseren Einblick in das Messegeschehen und die Wirkung des Messestandes zu gewinnen. (Bild: Anna Habenicht)

Und welche Visionen haben Sie für das Tracking?

Sicherlich noch Zukunftsmusik, aber ein spannender Ansatz ist die Verknüpfung von Daten zur subjektiven Wahrnehmung und dem objektiv gemessenen Verhalten der Besucher: Durch klassische Fragebögen werden Ergebnisse zur subjektiven Wahrnehmung des Messebesuchs abgefragt, wie Zufriedenheit, Erlebnis, ausgelöste Emotionen etc. Die Messung des objektiven Verhaltens in der Messehalle oder am Messestand in Verbindung zur Erfahrung und der subjektiven Einschätzung der Besucher verspricht einen großen Erkenntnisgewinn bzgl. der Evaluation der Messeveranstaltung bzw. des Messeauftritts. Diese Verknüpfung wäre sehr wertvoll, ist aber auch schwierig in der Umsetzung.

 

Welche Methoden/Techniken gibt es aktuell bzw. welche sind eher ungeeignet?

Hat man das Ziel klar definiert, kann die passende Methode oder ein geeigneter Methoden-Mix identifiziert werden – es gibt nicht nur die EINE richtige Methode. Entscheidend hierfür sind u.a. die Anforderungen an die Datengenauigkeit, das Budget, der Aufwand und die Umsetzbarkeit sowie welchen Einfluss die unterschiedlichen Methoden für den Besucher und sein Erlebnis vor Ort haben. Für die Lokalisierung des Besuchers existieren Methoden, die es erfordern, dass der Besucher einen Empfänger/Sender bei sich trägt, z.B. WLAN, Bluetooth, RFID. Andere Methoden, wie 3D-Kameras, können den Besucher erfassen, auch wenn er keine entsprechende Hardware bei sich trägt. Diese funktionieren ohne aktiven Einbezug des Besuchers und schränken somit sein Erlebnis nicht ein. 3D-Kameras versprechen weiterhin den größten Detailgrad im Hinblick auf die zu gewinnenden Daten, während beispielsweise die Ortung über das Smartphone und die WLAN Accesspoints, die häufig in Messehallen bereits vorhanden sind, leicht für große Areale umsetzbar ist. Alternativ kann der Besucher auch bewusst am Tracking durch Armbänder oder Badges teilnehmen, wobei hier der Aufwand größer und der Einsatz teurer ist.

 

Wie sieht die Anbieterstruktur aus Ihrer Sicht am Markt aus?

Speziell im Messe- und Eventbereich beschäftigen sich beispielsweise Unternehmen wie WWM (Monschau) und store2be (Berlin), waytation (Wien) oder blu donau projects (Linz/Wien) mit dem Besuchertracking, der Eventanalyse und dem Einsatz der passenden Methode. Dabei sind die reinen Messsysteme vielseitig und münden in einer Auswertungssoftware. Für den Handel gibt es bereits wesentlich mehr Anbieter und Systeme, die jedoch auf die Live-Kommunikation übertragbar sind.

 

Welche Erfahrungen haben Sie bisher beim Besuchertracking auf Messen gemacht?

Eigene Versuche in Kooperation mit der Professur für Allgemeine und Biopsychologie im Jahr 2017 auf der Messe BOE am Stand von Losberger wurden mit Armbändern mit integrierten Sensoren realisiert, die auf der Basis von Ultrabreitband-Signalen geortet werden können. Seitens der Besucher bestand große Neugier und Teilnahmebereitschaft, unser Pluspunkt war sicherlich, dass es ein Hochschul-Experiment war und die Teilnehmer durchweg Messe-affin waren. In 2018 wurden, zusammen mit dem Partner 3dvisionlabs, mit 3D-Kamera am Stand von Party Rent, Kenngrößen wie Verweildauer und Besucherverhalten untersucht und Heat Maps erstellt. Mit beiden getesteten Systemen konnten ähnliche Kenngrößen (z.B. Besucheranzahl und Verweildauer) ermittelt werden, wobei die 3D-Kamera mit Vorteilen in Bezug auf das Handling verbunden war.

Best of Events 2019
Live-Tests auf der BOE haben gezeigt, dass die Akzeptanz von Tracking-Systemen z.B. durch Armbänder groß ist. (Bild: Anna Habenicht)

Wie kann man den Besucher von der aktiven Teilnahme am Tracking überzeugen, oder sind Methoden, die „verborgen“ laufen, sinnvoller?

Die direkt sichtbaren Methoden, wie Armbänder, Badges etc., für die der Besucher aktiv angesprochen werden muss, sollten sein Erlebnis des Messebesuches nicht negativ beeinflussen. Die Besucher werden vor Betreten der Messe oder des getrackten Messestandes von Hostessen angesprochen und um Teilnahme gebeten. Dabei ist es wichtig, dass die Teilnahme interessant und mit Vorteilen ausgestaltet wird, und auch die Rückgabe der teils teuren Geräte organisiert ist. Bei unseren Live-Tests auf der BOE haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Akzeptanz des Tracking-Systems z.B. durch Armbänder groß war. Durch die Schaffung von Mehrwerten kann die Motivation zur aktiven Teilnahme noch gesteigert werden. Vorstellbar sind u.a. Apps mit zusätzlichen Infos, Push-Nachrichten über Smartphones, Messerabatte oder der Getränkegutschein am Eingang. Je mehr man beim Tracking auf die Unterstützung des Besuchers angewiesen ist, desto größer sollte der Mehrwert sein.

Anders die „verborgenen“ Methoden, wie z.B. Kamerasysteme, hier muss der Besucher nicht direkt angesprochen werden oder selbst bewusst aktiv werden, was das Handling insgesamt vereinfacht.

 

Wie überzeugen Sie Kritiker im Hinblick auf den Datenschutz?

Die Einhaltung der Datenschutzverordnungen ist Grundvoraussetzung und sollte beim Anbieter von Trackinglösungen Standard sein. Ziel ist das Sammeln von anonymen Daten zur Auswertung und Verbesserung der Leistungen. Es geht nicht um die Überwachung von Personen, sondern um das Bewegungsverhalten unter Wahrung der Anonymität.

 

Welches Fazit zum Besuchertracking auf Messen ziehen Sie aus Ihrer bisherigen Arbeit?

Das Interesse der Messeveranstalter, der Aussteller und auch der Messebauunternehmen am Besuchertracking ist groß. Das Thema wird aktuell häufig diskutiert, einige Unternehmen testen bereits und versuchen im Messebereich Lösungen zu finden. Dabei herrscht momentan wenig Branchenerfahrung, da ist der stationäre Handel weiter als der temporär ausgerichtete Messe- und Eventbereich. Eine Herausforderung für die Branche und sicherlich ein Zukunftsthema – mit schnellem Entwicklungspotenzial.

Und noch ein kleiner Ausblick: Die „Wissenschaftliche Konferenz Eventforschung“ der TU Chemnitz findet am 25. Oktober 2019 in Chemnitz statt. Die öffentliche Veranstaltung hat zum Ziel, die Praxis und die Wissenschaft zum Thema „Events und Messen im digitalen Zeitalter“ weiter zusammenzubringen.

 

Frau Dr. Lohmann, ganz herzlichen Dank für das Gespräch – wir werden Sie und das Thema sicherlich weiter „tracken“.

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Besuchertracking ist definitiv wichtig. Das wird für einen guten Einblick in das Messegeschehen sorgen. Armbänder oder Badges sind auf jeden Fall eine einfache Lösung dafür. Allerdings habe ich Angst, dass es nicht so praktisch ist. Interessanter Beitrag, danke! [Anmerkung der Redaktion: URL entfernt]

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