Künstlerische Freiheit statt Markenbriefing, spontane Inszenierung statt minutiöser Ablaufplanung – was passiert, wenn Eventprofis ein politisches Projekt stemmen? Der Adenauer SRP+ ist ein fahrendes Statement, technisch anspruchsvoll und konzeptionell klar gedacht. Ein Projekt, das Impulse für die Branche liefert.
Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) ist seit Januar 2025 mit dem „Adenauer SRP+“ auf Tour, um auf die Notwendigkeit eines AfD Verbotsverfahrens lautstark und öffentlichkeitswirksam aufmerksam zu machen. Für die „aggressivste Roadshow Deutschlands“ wurde ein ehemaliger Gefangenentransporter zum „Gefechtsstand der Zivilgesellschaft“ umgebaut. Der Name Adenauer SRP+ bezieht sich auf die rechtsextreme SRP (Sozialistische Reichspartei), die 1952 unter Konrad Adenauer in einem 10-tägigen Verfahren verboten wurde. Die Tour war ursprünglich bis zur Bundestagswahl angesetzt, wird jetzt aber auf unbestimmte Zeit verlängert.
„Die Umbauten am Adenauer SRP+ sind ein Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst“, so das Versprechen des ZPS. Und tatsächlich wurde hier in kürzester Zeit (sechs Wochen Bauphase) ein technisch sehr aufwendiges und effektvolles Fahrzeug gebaut.
Als im Bundestag das Parteiverbotsverfahren diskutiert wurde, war der Adenauer SRP+ mit einem juristischen Beratungsteam vor Ort. (Bild: Politische Schönheit)
Die Aufbauten befinden sich überwiegend auf dem Dach und sind per Luftdruck ein- und ausfahrbar. Im Straßenverkehr gelten diese als „Ladung“. Aber das sieht nicht jeder so. Dazu später mehr.
Verbaut wurden in und am Bus u. a.:
7 Kurzdistanz-Projektoren im Innenraum für Fensterprojektionen
Ein großer Projektor auf dem Dach (von innen Dreh- und Neigbar)
LED-Bande auf dem Dach
Eine original Fliegersirene (für Katastrophenalarm)
Diverse Störsender
24 Druckkammerlautsprecher + Bässe in den Kofferfächern
Ein original „Such-Scheinwerfer vom Leopard 2“
Wasserwerfer mit Tank
Nebelmaschine
Eine sprechende lebensgroße Alice Weidel Puppe (per KI)
Eine Social-Media-Agentenplattform
Und unzählbare Kameras
Alle Funktionen sind von der zentralen Kommandoeinheit steuerbar.
Der fahrende Beweis
Kern der Aktion sind 2.400 Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit der AfD, die das ZPS in einer vorgelagerten Aktion recherchiert und im Internet veröffentlich hat (www.afd-verbot.de). Die Beweise können nun in einer interaktiven Ausstellung im Gefangentrakt erlebt oder mit den umfangreichen technischen Umbauten lautstark nach außen kommuniziert werden.
Der Adenauer SRP+ hat über 10.000 Investor:innen. In weniger als 24 Stunden wurden der Kauf des Busses, der Umbau und der erste Teil der Tour (bis zur Bundestagswahl) per Crowdfunding finanziert. Der zweite Teil (Umbau auf Dauerbetrieb) wird aktuell umgesetzt.
Bild: Politische Schönheit
Auf dem Adenauer SRP+ wurden zahlreiche Kameras installiert.
Bild: Politische Schönheit
Im Inneren des Adenauer SRP+ befindet sich eine interaktive Ausstellung und eine Kommandozentrale.
Bild: Politische Schönheit
Daneben ist im Adenauer SRP+ ebenfalls ein fahrendes Studio für Medienvertreter:innen.
Die Tour
Die Tour-Stopps oder besser „Einsätze“ des Adenauer SRP+ sind vielfältig und die Route passt sich permanent der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation, und zwangsweise auch den zahlreichen Kontrollen der Polizei, an.
Der Adenauer SRP+ wird genutzt als
Beratungscenter für Politik, Medien und Öffentlichkeit
Mobile Bühne und Support für Demos gegen die AfD und Rechtsextremismus
Verstärker von Botschaften (Lautsprecherwagen)
„Begleiter“ (oder besser Störer) von Veranstaltungen der AfD
Studio für Podcast, TV-Dokus und andere Formate
Medienereignis und Bildmotiv Der Adenauer SRP+ kann von der Zivilbevölkerung gebucht werden. In den ersten zwei Tourmonaten sind hunderte Vorschläge für „Reiseziele“ eingegangen.
Weltpremiere in Berlin
Am 10. Januar 2025 wurde der Adenauer SRP+ am Brandenburger Tor erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Die Show erinnerte in einigen Punkten an Weltpremieren im Automobilbereich, fühlte sich aber komplett anders an. Es herrschte Katastrophenstimmung am Brandenburger Tor. NS-Marschmusik, der Sylt Song, Zitate von Weidel, Höcke, Chrupalla und Krah, vermischt mit fast gleichen Zitaten von Goebbels und Hitler. Dazu heult unaufhaltsam die Sirene, die Projektoren und die LED-Wand zeigen Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit der AfD.
Der Adenauer SRP+ und die Polizei
Nach der Show am Brandenburger Tor kam es direkt zur ersten intensiven Verkehrskontrolle. Doch bei der sollte es nicht bleiben. In den ersten sechs Wochen wurde der Bus über 20 Mal von der Polizei kontrolliert, zwei Mal abgeschleppt, ein Mal beschlagnahmt und am Ende sogar die Scheibe eingeschlagen.
Adenauer SRP+ bei Nazi Demo in Berlin. (Bild: Politische Schönheit)
In Summe wurden fünf Vollgutachten erstellt. Alle ohne Mängel, die über Kleinigkeiten hinaus gehen. Die fünfte Vollabnahme fand unter Teilnahme von parlamentarischen Beobachter:innen, Medienvertreter:innen, ZPS, Polizei und Dekra statt. Dort wurde erneut der technische Zustand als verkehrssicher eingestuft. Seitdem wurde der Adenauer SRP+ nicht mehr wegen der Verkehrssicherheit aufgehalten.
Das Zentrum für Politische Schönheit wirft der Polizei vor, den Protest planvoll verhindern zu wollen. Und es sei auch für Außenstehende schwer nachvollziehbar, warum ein Fahrzeug fünf Vollgutachten und einen Eklat im Berliner Senat braucht, um als verkehrssicher eingestuft zu werden.
Viele der geplanten Einsätze musste wegen Polizeikontrollen ausfallen. Die Situation eskalierte zwischenzeitlich sogar im Berliner Senat. (Bild: Politische Schönheit)
Die Begegnungen von ZPS und Polizei führten leider oftmals zu Verzögerungen der Tour, aber auch und vor allem zu einem: Aufmerksamkeit. Fakt ist: Überall dort, wo der Adenauer seinen Einsatz findet, ist die Polizei auch vor Ort.
So auch am 11. Januar 2025 beim ersten „Kampfeinsatz“ in Riesa. Nach der 3-stündigen Polizeikontrolle ging es direkt zum Parteitag der AfD. Der Adenauer war dort off iziell für die Gegendemonstration angemeldet, sollte dort aber vorerst nicht ankommen. Bereits nachts wurde er von der Polizei in einem Gewerbegebiet unweit der Halle „festgesetzt“.
Panne mitten auf der Zufahrtsstraße der AfD Abgeordneten (Bild: Politische Schönheit)
In einem unaufmerksamen Moment der Polizei gelang es dem Bus morgens, sich auf den Weg zur Halle zu machen. Ein Moment zivilen Ungehorsams. Eine kurze Verfolgungsjagd und dann der Stopp mitten auf der Zufahrtstraße der AfD Abgeordneten zum Parteitag.
Der Adenauer SRP+ unterstützt friedlichen Protest gegen rechts. In Bremen beispielsweise als Begleitung der Zubringer-Demo und Verstärker der Kundgebung mit über 20.000 Menschen. (Bild: Politische Schönheit)
„Wir haben leider eine Panne und der Motor geht nicht mehr an“, Stefan Pelzer zum Polizisten vor Ort. Die wahrscheinlich berühmteste Panne Deutschlands. Der Start des Parteitags verzögerte sich um einige Stunden und im Umkreis von 20 km (und jeder TV Aufnahme) war die Sirene wieder nicht zu überhören. Für das ZPS „ein sehr erfolgreicher Einsatz“.
Interview: Dramaturgie trifft Aktivismus
Eine Roadshow mit Projektoren, Sirenen, LED-Bande und einer KI-Figur – aber nicht für ein Produkt, sondern für eine Botschaft. Wir haben mit Arne Heyen vom Zentrum für Politische Schönheit über die Hintergründe des Projektes, den Bus und die ganz besonderen Herausforderungen der Tour gesprochen. Als Kreativdirektor bei der Joke Event AG liefert er spannende Insights zu Dramaturgie, Storytelling, Reichweiten und den Parallelen zur Live-Kommunikation.
Arne Heyen kennt sich mit außergewöhnlichen Formaten aus – sowohl im politischen Raum als auch in der Eventbranche. (Bild: Politische Schönheit)
Was ist der Hintergrund der Aktion?
Arne Heyen: Wir sind der festen Überzeugung, dass die AfD eine verfassungsfeindliche Partei ist und das es längst überfällig ist, ein Verbotsverfahren einzuleiten. Die rechtsextremen Positionen der AfD werden täglich gesellschaftsfähiger und Hass, Hetze und Desinformationen greifen schon jetzt massiv in unsere Gesellschaft ein. Und die demokratischen Parteien sind noch mehrheitlich gegen ein Verbotsverfahren und lassen das Verfassungsgericht nicht einmal ermitteln. Sie wollen die AfD überwiegend noch „inhaltlich stellen“. Aber in über zehn Jahren ist genau das nicht gelungen. Ganz im Gegenteil. Die AfD wird immer stärker.
Adressiert ihr mit der Aktion die Politik?
Arne: In unseren Augen ist es unterlassene Hilfeleistung, das Verfassungsgericht nicht gegen die AfD ermitteln zu lassen. Die Politik kann und muss handeln! Darauf machen wir aufmerksam! Entschlossen, laut und deutlich. Wir machen Druck, wir schaffen Aufmerksamkeit, wir klären auf und wir unterstützen Protest gegen den Faschismus.
Ist der Gefangenentransporter ein Symbol dafür, dass ihr die AfD für Verbrecher haltet?
Arne: Ja. Nazis waren und sind Verbrecher! Wir generieren mit dem Adenauer SRP+ sehr deutliche Bilder, Storys und Assoziationen. Die Botschaft ist klar!
Ist das vergleichbar mit den Aufgaben in deinem Hauptberuf als Kreativdirektor einer Agentur?
Arne: Grundsätzlich ja. Aber wir sind in den Maßnahmen deutlich weniger limitiert. Wir haben keine Kund:innen, die uns vorgeben, was wir dürfen und was nicht. Wir handeln im Rahmen der Kunst-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Wir agieren so deutlich freier, als man es bei einer Marken-Roadshow könnte. Man kann nicht einfach vorm Bundestag parken und Werbung machen. Kunstfreiheit gilt hier allerdings schon, wobei wir auch hier nur wegen der Unterstützung der anwesenden Bundestagsabgeordneten einem Platzverweis entgehen konnten.
Bei Marken-Roadshows spielt die Polizei aber auch selten eine so große Rolle, wie bei euch, oder?
Arne: Ja, besser nicht. Wobei das immer eine Frage der Zielsetzung ist. Wenn man Aufmerksamkeit sucht, dann kann ein Konflikt mit der Polizei das unter bestimmten Voraussetzungen deutlich fördern.
Du meinst, die Polizei hat eurem Vorhaben geholfen?
Arne: Indirekt, ja. Sie hat uns auf der einen Seite deutlich schikaniert und aufgehalten, auf der anderen Seite hat sie aber permanent neue Situationen kreiert, die zu enormen Reichweiten führten. Viele unserer Einsätze hätten medial ohne die Polizei nicht zu der Aufmerksamkeit geführt.
Am Tag der Bundestagswahl haben wir zum Beispiel vor der Wahlparty der AfD protestiert. Um Punkt 18:00 Uhr, mit Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen, haben wir mit unserer Sirene einen Katastrophenalarm gestartet und erst die Reaktion der Polizei hat aus einem Protest ein „Viral“ gemacht. Sie schlugen die Scheibe ein, stürmten den Bus und führten unser Team ab. Die Berichterstattung war enorm.
Aber hilft das eurem Thema?
Arne: Natürlich verwässern und überlagen die permanenten Konflikte mit der Polizei auch ein wenig unsere Kernforderung, aber die Popularität, die der Adenauer SRP+ durch die mediale Aufmerksamkeit gewonnen hat, hilft unserem Anliegen deutlich! Die Presse ist permanent auf Stand-by und wenn wir mit dem Adenauer in Städten unterwegs sind, kennt uns mittlerweile fast jeder. Die Reichweiten, die wir erzielt haben, sind für Marken mit Roadshows niemals erreichbar. Relevanz kann man nur schwer kaufen.
Wie läuft das Storytelling bei einer solchen Roadshow? Entstehen die Aktionen und Geschichten immer aus der Situation heraus oder wird der Ausgang von euch vorbestimmt?
Arne: Natürlich machen wir uns im Vorfeld Gedanken und bei einigen Aktionen ist das Ziel auch im Vorfeld deutlich formuliert, wie z. B. in Riesa, aber grundsätzlich ist vorher nie klar, was genau passiert und welche Storys daraus generiert werden. Wir können im Grunde nur einen kleinen Teil der Aktion direkt beeinflussen. Der größte Teil der Geschichten ergibt sich aus der Dynamik vor Ort. Das macht es wahnsinnig spannend.Erst trauert man, dass eine Scheibe eingeschlagen wurde und dann rechnet man 1.500 € Reparaturkosten gegen die Berichterstattung in allen Leitmedien. Gut investiertes Geld!?
Wie müssen wir uns das Team hinter dem Adenauer SRP+ vorstellen?
Arne: Wahnsinnig entschlossen, mutig und extrem professionell! Unsere Branche könnte viel davon lernen. Von der Ideenentwicklung, über technischen Planung und Bau bis in die letzten Details waren hier Vollprofis am Werk. Überwiegend mit Fachqualifikation im Eventbereich. Allerdings eher Fusion-Festival als Corporate Event. Aber die Anforderungen ähneln sich in den meisten Punkten.
Ich habe sehr viele komplexe Sonderbau-Projekte in der Agentur miterlebt. Diese Prozesse sind in der Regel extrem mühselig, langwierig und werden oftmals viel zu kompliziert gedacht. Den Adenauer haben wir in sechs Wochen gekauft, umgebaut und (ein Mal) durch den TÜV gebracht. Für unsere Branche (leider) unvorstellbar.
Wie geht es weiter?
Arne: AfD und Polizei werden sich an den Anblick gewöhnen müssen. Der Adenauer SRP+ geht in den Regeldienst. Wir machen weiter, so lange es nötig ist!
Was kann die Eventwelt vom Adenauer SRP+ lernen?
Arne: Vor allem eines: Setzt eure Fähigkeiten auch für sinnvolle Themen ein! Wir sind Kommunikations-Profis. Unsere Instrumente sind nicht nur für Marken geeignet.