Blue und White Collar

Bringt uns die Arbeit 4.0 wirklich weiter?

Wir sind noch lange nicht alle nachhaltig und sollen doch schon 4.0 arbeiten. Die eine Sau namens „Sustainability“ läuft immer noch ziellos und auf Abwegen durch die Dörfer voller Eventler und da lauert schon ein neues Schlagwort. Man könnte meinen, es ist mindestens das Viernullte. Doch halt, ganz so zynisch wollte ich eigentlich ja nicht sein. Schauen wir einfach mal, worum es geht und ob es geht oder gehen könnte.

Blue Collar
Blue Collar (Bild: Falco Zanini)

Mit Arbeit 4.0 wird die Weiterentwicklung auf die Arbeitswelt der deutschen Initiative „Industrie 4.0“ bezeichnet, die erstmals 2011 auf der Hannover Messe ausgerufen wurde. Es soll damit die vierte industrielle Revolution ausgerufen werden, wobei bemerkenswert ist, dass das die erste „Revolution“ ist, die vorher benannt wird. Die erste bis dritte industrielle Revolution wurden jeweils erst im Nachhinein bestimmt. Dabei ist der Schlüssel zu 4.0 ein Produkt von 3.0: der Chip. So soll also nun der digitale Wandel dafür sorgen, auf Basis des Leitbilds „Guter Arbeit“ vorausschauend die sozialen Bedingungen und Spielregeln der zukünftigen Arbeitsgesellschaft zu thematisieren und mitzugestalten. Da bin ich als präventiv denkender Arbeitsschützer und ehemaliger Hand-Arbeiter in meinem 37. Branchenjahr gerne dabei.

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Multitasking ist Selbstbetrug

Das Digitale soll es richten, die flexiblen und ortsunabhängigen Arbeitsweisen namens „Desk Sharing“, „Bring your own Device“ oder „Crowdworking“. Dazu sollen viele kleine Helferlein, neudeutsch App genannt, zum ortsunabhängigen und von überall vernetzten Arbeiten beitragen und unterstützen. Zur näheren Betrachtung teilen wir die Tätigkeiten der Eventwelt in die zwei klassischen Bereiche bürobezogene Tätigkeiten (White Collar), also alle Arbeiten rund um Verwaltung, Planung, Management, und körperliche Tätigkeiten (Blue Collar) wie Auf- und Abbau, Logistik usw. ein.

Arbeiten im Café
Indem wir ortsunabhängig arbeiten und unsere Aufgaben zeitlich flexibel in den Tag legen können, weichen wir doch prinzipiell nur unsere Privatsphäre auf … (Bild: Pexels)

Gibt es im ersten Bereich tatsächlich so große Fortschritte oder Möglichkeiten durch die schöne neue und digitale Arbeitswelt? Natürlich kann ich heute schon ortsunabhängig meine Projekte planen und am Strand sitzen, während ich das tue. Oder mal eben schnell nach dem Tatort. Doch ist es nicht so, dass die Gefahr besteht, die auch von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) in ihrem Kommentar zum Grünbuch Arbeit 4.0 gesehen wird? Nämlich dass ich zwar zunächst Arbeitszeit- und Ortssouveränität gewinne, dies jedoch oft um den Preis der Aufweichung des privaten und der freiwilligen Arbeitsverdichtung. Und werden die Ergebnisse der Projektvorbereitung vom Küchentisch aus wirklich so viel besser?

Viele meiner Kollegen draußen beklagen seit langem, dass die Jobs immer schlechter vorbereitet sind. Immer häufiger werden Hunderte von Mails (RE: AW: RE: RE: AW: …), oft nur mit zwei Sätzen Inhalt, durch die Welt gesendet, anstatt eine Sache zu Ende zu denken und dann zu schreiben. Immer öfter scheinen einfache technische und logistische Problemstellungen nicht mehr beachtet zu werden und bei Rückfragen dazu zeigen sich Planer immer wieder uneinsichtig. Dass ein guter Planer oft mehrere Projekte gleichzeitig bearbeitet, oft schon während der laufenden Produktion vor Ort, ist mittlerweile normal. Neueste wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass das sogenannte Multitasking nicht funktioniert und ein reiner Selbstbetrug ist. Es sorgt eher für schlechtere Ergebnisse bei wachsender Überforderung.

Café

Verbessertes Eventmanagement durch Apps & Tools?

Ein permanentes Wachstum im White-Collar-Bereich weist die Zahl der spezifischen Apps und Tools auf. Dabei besonders bei den „Eventmanagement-Tools“ oder den Projektplanungs-Apps. Wobei es bei ersteren eigentlich immer nur um Ticketing und Customer Relationship geht und nicht um wirkliches „Management“ im eigentlichen Sinne. Zu zweitem werde auch ich immer mal wieder genötigt, die ein oder andere PM-App oder komplette Cloud-App zu nutzen. Besser wird es dadurch oft nicht. Nur die Festplatte wird voller. Jedes Mal wäre eigentlich eine Einarbeitungszeit nötig, die keiner bezahlen will, und ich zeitlich nicht leisten kann (siehe oben), doch das Hauptproblem entsteht dann, wenn eben NICHT alle Projektbeteiligten inklusive aller Dienstleister die jeweils vorgegebene App einhundertprozentig nutzen. Dann werden doch wieder Mails gesendet und Outlook-Eintragungen vorgenommen, weil es oft zielführender ist, als den aktualisierten Zeitplan im PM-Tool zu suchen. Spannend wird es vor Ort auch, wenn ein Projektplan mit einem Projektplan-„Tool“ erstellt wurde und jedes Teilprojekt sich wunderbar abgestuft aneinander fügt. Als jemand, der Netzpläne in der BWL-Ausbildung von Hand vorwärts und rückwärts zeichnen musste (mit Bleistift und Radierer) und die Abhängigkeiten der einzelnen Gewerke kennt, kann ich sagen: Das wird nix! Kritischer Pfad? Fehlanzeige!

Im Zwischenbereich zwischen Theorie in der Planung und Praxis auf der Produktion angesiedelt finden sich CAD-Programme und Warenwirtschaftssysteme/ERP-Software. Im Idealfall arbeitet der Planer mit einer CAD-Software, die bereits Stücklisten für das Warenwirtschaftssystem oder wenigstens eine Excel-Tabelle auswirft. Und ebenso ideal ist es, wenn dann der technische Dienstleister über ein entsprechendes Programm verfügt. Interessanterweise scheuen Dienstleister immer wieder die Anschaffung eines solchen Programms, kostet es doch oft nur so viel wie zwei gute, moderne, kopfbewegte Lampen. Dabei wird dann leider außer Acht gelassen, dass die Lampe bereits nach zwei Jahren vom Kunden als unmodern empfunden wird, während die Software dem Unternehmen immer noch hilft, die Geschäftsprozesse sauber zu strukturieren und das Geschäft transparent zu gestalten.

Die Lösung: Schulung 1.0

Betrachten wir nun den letzten Teil der Arbeit, die bald 4.0 sein soll: das Event, bzw. die reale und körperliche Arbeit, die notwendig ist, um aus all den Plänen das Event stattfinden zu lassen. Damit all die digitalen Planungen real werden, ist immer noch reichlich Handarbeit erforderlich. Es müssen LKW ausgeladen und Arbeitsmaschinen bedient werden, es werden Traversen zusammengesetzt, Wände genagelt und gestrichen und Teppiche verlegt. Hier kommt das Wort vom Arbeitsschutz 4.0 zum Tragen, das die DGUV anmahnte und das auch in das Weißbuch aufgenommen wurde. So sollen „ein hoher Beschäftigungsstand und eine hohe Beschäftigungsfähigkeit gewährleistet werden (…). Um diese auch im digitalen Wandel zu sichern, wird es bedeutender Anstrengungen im Bereich von Qualifizierung und Weiterbildung bedürfen“.

Diese Erkenntnis führt zurück zu meinen teilweise zynischen vorherigen Betrachtungen. Der Schlüssel zur Lösung vieler Probleme in unserer Branche ist für mich, dass die Mitarbeiter ganz altmodisch, sozusagen 1.0, aktiv geschult werden. So z.B. in der Anwendung der Standard-Software, in Grundlagen des Projektmanagements und in den für das Verstehen der Möglichkeiten notwendigen Grundlagen der Technik. Gleichzeitig müssen alle Planungen sich der Machbarkeit eines Projektes und der Beachtung der vorhandenen Standards zu Arbeitszeit- und Arbeitsplatzgestaltung unterwerfen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass alle Beteiligten – auch die kleinen Selbstständigen und Dienstleister – in der Wertschöpfungskette einen gesunden und auskömmlichen Anteil am (finanziellen) Erfolg haben.

 


Hilfreiche Links zum Thema: 

www.arbeitenviernull.de/

www.dguv.de/de/praevention/arbeitenvierpunktnull/index.jsp

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Auch wenn der Artikel ein bisschen zynisch klingt, das kann ich für den Bereich White Collar hundertprozentig so unterschreiben. Als Freelancerin muss man sich auch immer mehr vor Kunden-Übergriffigkeit schützen, mobil zu arbeiten heißt nicht zwangsläufig, dass ich gerne am Wochenende oder nach 18:00 Uhr angerufen werden möchte, bloß weil die interne Kommunikation mal wieder nicht geklappt hat, da alle noch in mehreren anderen Projekten arbeiten. Die vorgeschlagene Schulung 1.0 sollte dann auch noch die klassischen Zeitmanagement-Tools berücksichtigen.

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  2. Hi Falco, mein liebster Schwarzmaler von allen ?
    Deine Überlegungen und auch Dein Resümee teile ich vollkommen, aber mit Arbeit 4.0 ist schon deutlich mehr und tiefergehendes Nachdenken verbunden, als nur die oberflächliche Betrachtung einer neuen App und ob die Menschen damit umgehen können oder nicht. Industrie 4.0 bezeichnet die Zusammenarbeit von Maschinen ohne Zutun eines Menschen. Man nennt das “Maschine spricht mit Maschine”. Daraus abgeleitet bedeutet Arbeit 4.0, dass der Mensch für sehr viele Arbeiten nicht mehr benötigt wird, weil die Maschinen untereinander die Arbeit bestimmen, weitergeben und verteilen und auch erledigen. Wesentlich präziser als der Mensch. Die Frage ist dann: wie sieht die Arbeitswelt des Menschen in dem Zusammenhang aus. Und darum geht es in Arbeit 4.0. Hier gibt es Meinungen in Richtung “der Mensch wird in der Arbeitswelt überflüssig, wir brauchen neue Sozialsysteme”. Bedingungsloses Grundeinkommen ist hier die Extremposition. Auf der anderen Seite gibt es die Meinung, das da schon neue Aufgaben kommen werden. Das war bei allen 3 vorherigen Industrierevolutionen auch so. Als es auf einmal Roboter gab, die Autos bauen konnten, hieß es “wir verlieren alle unsere Arbeit”. Heute erschreckt einen das nicht mehr. Alles muss bleiben, wie es ist beschreibt hier die Extremposition.
    Arbeit 4.0 ist die Plattform, auf der sich Politik, Gesellschaft, Forschung und Visionäre nach neuen Möglichkeiten umsehen, wie die Arbeitswelt von morgen aussehen kann. Zwischen den Extrempositionen.

    Na klar wurden die vorherigen Industrierevolutionen im Nachhinein so benannt. Das Nachdenken darüber ging erst Ende der 70er Jahre los. Da war 1.0 schon durch, 2.0 im vollen Gange und 3.0 stand in den Startlöchern. Und natürlich erkennt die Welt der Arbeits- und Sozialwissenschaftler mittlerweile die Revolution bevor diese weiß, dass sie eine ist. Im Grund ist es ja auch nur eine kontinuierliche Weiterentwicklung dessen, was wir alle den ganzen Tag tun.
    Ein Meilenstein. Mehr nicht. Aber Meilensteine zu bestimmen, ist wichtig, auch in der Projektplanung. Und dabei hilft mir wieder eine App.
    Ich habe in den vielen Gesprächen mit Politikern, Gremien, anderen Verbänden, Zukunftsforschern u.v.a. festgestellt, das mein Problem mit den Inhalten der Arbeit-4.0-Diskussionen gerade im BMAS nicht die Zukunft meiner Branche, unserer Branche, darstellt, sondern die Vergangenheit und Gegenwart. Wir arbeiten schon alle 4.0. Seit Jahrzehnten. Projektorientiert, das Ziel muss erreicht werden, nicht eine bestimmte Zeit abgesessen werden. Um 20 Uhr fällt der Kabuki, da ist Show-Time. Da muss alles fertig sein, weil 150 oder 2000 oder 30.000 Menschen eine Show erwarten, die sie umhaut. Das ist unser Geschäft und das hat erstmal wenig mit Arbeit 4.0 zu tun.
    Wir brauchen Maschinen, die mit Maschinen reden nicht zu fürchten. Unsere Hauptingredienz ist Emotion und davon sind Maschinen noch weit weg. Selbst ein Terminator kann das in der dritten Generation noch nicht.
    Also was interessiert uns das? Andere Branchen können von uns lernen wie offen und frei Arbeitsverhältnisse sein können. Und wir? Wir können lernen, wie wir besser mit dem Wahnsinn, der sich Showbizz nennt, umgehen können. Uns bietet Arbeit 4.0 die Möglichkeit der Selbstreflektion, die Möglichkeit, den einen Schritt zurück zu treten und uns unsere Branche mal von außen an zu schauen.
    Und deshalb sage ich: Lass uns die Chance nutzen, lass uns den Schritt zurück treten, um zu sehen und dann zu überlegen, wie wir all die Missstände, die auch Du sehr deutlich und völlig zurecht anprangerst, in den Griff bekommen und ins Positive wandeln.
    Unsere Branche ist in vielen Dingen viel weiter als andere Branchen. Wir haben uns dabei nie streng nach Gesetzen ausgerichtet. Dein Lieblingsthema mit dem LKW-fahren, der einem anderen gehört, mit dem Equipment eines Dritten und “nur kurz laden, hinfahren, aufbauen, Show machen, abbauen und wieder laden und zurückfahren”. Stunden? Es dauert, was es dauert. Zielorientierung, nicht starre Stundensysteme.
    Die Grenzenlosigkeit, die Maßlosigkeit, die Aufopferungsbereitschaft, die Ignoranz, die Zwanghaftigkeit, die Emotion, die Unvernunft, die Leidensfähigkeit, die Begeisterung, die Erfüllung und das Gefühl, wenn 60.000 Arme in die Höhe gehen, Kehlen herausgeschrienen werden, wenn der Kabuki fällt. Das ist unser Problem, unsere Befriedigung unser Nährstoff, unsere Droge, unser Lohn, unser Tagessatz.
    Für mich klingt das nach dem Thema einer Talkshow Falco. Are your ready?
    LG, m.

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